Es scheint demnach unsre Bestimmung der Hemmungs- summe hinreichend gesichert zu seyn.
Die gleiche Bestimmung aber wird sich, unter Vor- aussetzung des vollkommenen Gegensatzes, sehr leicht von zwey Vorstellungen auf mehrere in beliebiger Anzahl ausdehnen lassen. Es seyen ausser a, der stärksten, noch vorhanden b, c, d, ... n: so ist die Hemmungssumme =b+c+d+...+n. Denn b und die übrigen stehn dem a ganz und gar entgegen; kleiner also als ihre Summe kann das Quantum der Hemmung nicht seyn; aber auch nicht grösser, denn wenn jene alle völlig unterdrückt wä- ren, bliebe die stärkste ganz ungehemmt. -- Will man dagegen versuchen, sich b ungehemmt zu denken, so ist die Summe des Gehemmten =a+c+d+..+n; also grösser wie vorhin, und so bey jeder andern ähnlichen Voraussetzung. Folglich ist die obige Angabe allein zu- lässig. --
Bevor wir indessen die Betrachtung der Hemmungs- summe verlassen, muss noch einem möglichen Misver- ständnisse begegnet werden, welches aus der Verglei- chung jener Summe mit einer zu vertheilenden Last, ent- stehen könnte. Es wird nämlich dem Geiste unsrer vest- gestellten Sätze ganz gemäss gefunden werden, dass die Vorstellungen sämmtlich in eben dem Grade, wie sie lei- den, auch in wirksame Kräfte verwandelt, dass sie durch den Druck angespannt werden, und dass das Gleichge- wicht eintrete, sobald Spannung und Druck einander ge genseitig aufheben. Hieraus nun scheint zu folgen, dass die Summe des wirklich Gehemmten weit weniger betra- gen müsse, als die ursprüngliche Nöthigung zum Sinken erfordert. Denn diese Nöthigung, und die Spannung der Vorstellungen, werden wider einander wirken; und die erstere kann also den Punct nicht erreichen, wohin sie strebt. -- Dieses ist scheinbar, aber gleichwohl unrichtig. Es wird nämlich dabey vorausgesetzt, die Vorstellungen könnten der Hemmungssumme widerstreben. Aber die
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Es scheint demnach unsre Bestimmung der Hemmungs- summe hinreichend gesichert zu seyn.
Die gleiche Bestimmung aber wird sich, unter Vor- aussetzung des vollkommenen Gegensatzes, sehr leicht von zwey Vorstellungen auf mehrere in beliebiger Anzahl ausdehnen lassen. Es seyen auſser a, der stärksten, noch vorhanden b, c, d, … n: so ist die Hemmungssumme =b+c+d+…+n. Denn b und die übrigen stehn dem a ganz und gar entgegen; kleiner also als ihre Summe kann das Quantum der Hemmung nicht seyn; aber auch nicht gröſser, denn wenn jene alle völlig unterdrückt wä- ren, bliebe die stärkste ganz ungehemmt. — Will man dagegen versuchen, sich b ungehemmt zu denken, so ist die Summe des Gehemmten =a+c+d+..+n; also gröſser wie vorhin, und so bey jeder andern ähnlichen Voraussetzung. Folglich ist die obige Angabe allein zu- lässig. —
Bevor wir indessen die Betrachtung der Hemmungs- summe verlassen, muſs noch einem möglichen Misver- ständnisse begegnet werden, welches aus der Verglei- chung jener Summe mit einer zu vertheilenden Last, ent- stehen könnte. Es wird nämlich dem Geiste unsrer vest- gestellten Sätze ganz gemäſs gefunden werden, daſs die Vorstellungen sämmtlich in eben dem Grade, wie sie lei- den, auch in wirksame Kräfte verwandelt, daſs sie durch den Druck angespannt werden, und daſs das Gleichge- wicht eintrete, sobald Spannung und Druck einander ge genseitig aufheben. Hieraus nun scheint zu folgen, daſs die Summe des wirklich Gehemmten weit weniger betra- gen müsse, als die ursprüngliche Nöthigung zum Sinken erfordert. Denn diese Nöthigung, und die Spannung der Vorstellungen, werden wider einander wirken; und die erstere kann also den Punct nicht erreichen, wohin sie strebt. — Dieses ist scheinbar, aber gleichwohl unrichtig. Es wird nämlich dabey vorausgesetzt, die Vorstellungen könnten der Hemmungssumme widerstreben. Aber die
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Es scheint demnach unsre Bestimmung der Hemmungs-
summe hinreichend gesichert zu seyn.
Die gleiche Bestimmung aber wird sich, unter Vor-
aussetzung des vollkommenen Gegensatzes, sehr leicht
von zwey Vorstellungen auf mehrere in beliebiger Anzahl
ausdehnen lassen. Es seyen auſser a, der stärksten, noch
vorhanden b, c, d, … n: so ist die Hemmungssumme
=b+c+d+…+n. Denn b und die übrigen stehn dem
a ganz und gar entgegen; kleiner also als ihre Summe
kann das Quantum der Hemmung nicht seyn; aber auch
nicht gröſser, denn wenn jene alle völlig unterdrückt wä-
ren, bliebe die stärkste ganz ungehemmt. — Will man
dagegen versuchen, sich b ungehemmt zu denken, so ist
die Summe des Gehemmten =a+c+d+..+n; also
gröſser wie vorhin, und so bey jeder andern ähnlichen
Voraussetzung. Folglich ist die obige Angabe allein zu-
lässig. —
Bevor wir indessen die Betrachtung der Hemmungs-
summe verlassen, muſs noch einem möglichen Misver-
ständnisse begegnet werden, welches aus der Verglei-
chung jener Summe mit einer zu vertheilenden Last, ent-
stehen könnte. Es wird nämlich dem Geiste unsrer vest-
gestellten Sätze ganz gemäſs gefunden werden, daſs die
Vorstellungen sämmtlich in eben dem Grade, wie sie lei-
den, auch in wirksame Kräfte verwandelt, daſs sie durch
den Druck angespannt werden, und daſs das Gleichge-
wicht eintrete, sobald Spannung und Druck einander ge
genseitig aufheben. Hieraus nun scheint zu folgen, daſs
die Summe des wirklich Gehemmten weit weniger betra-
gen müsse, als die ursprüngliche Nöthigung zum Sinken
erfordert. Denn diese Nöthigung, und die Spannung der
Vorstellungen, werden wider einander wirken; und die
erstere kann also den Punct nicht erreichen, wohin sie
strebt. — Dieses ist scheinbar, aber gleichwohl unrichtig.
Es wird nämlich dabey vorausgesetzt, die Vorstellungen
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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 1. Königsberg, 1824, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie01_1824/183>, abgerufen am 22.11.2024.
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