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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 1. Königsberg, 1824.

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gen, wie denn die Wirkung in dem Einen habe erfol-
gen können, vermöge des andern? Wobey nur so viel
klar ist, dass dazu Mehr gehöre, als blosses Nebeneinan-
der seyn, dass das Zusammenkommen der Ursache und
des leidenden Gegenstandes die bloss räumliche oder zeit-
liche Nähe überschreiten, und etwas dabey vorgehn müsse,
welches vorläufig mit den Worten Eingreifen, Ver-
wandtseyn und sich gegenseitig binden
, bezeich-
net werden könne.

Hier nun muss der gemeine Verstand, wie er unter
andern in der, so eben gebrauchten, metaphorischen
Sprache der Chemiker sich äussert, in Schutz genommen
werden gegen die unrichtigen Ansichten der Kantischen
Schule, welche aus der Verlegenheit entstanden, dem
Causalbegriffe, der allerdings nicht im Gegebenen unmit-
telbar gefunden, sondern in dasselbe hineingetragen wird,
seinen Ursprung nachzuweisen. Kant lehnte in dieser
Verlegenheit die Causalität an die Zeit, -- mit der sie
gerade gar nichts gemein hat! Es ist längst bemerkt,
dass zwischen Ursache und Wirkung sich kein Vorher
und Nachher einschieben darf, als ob die Wirkung noch
dürfte auf sich warten lassen, nachdem sie schon voll-
ständig begründet ist. Die Priorität der Ursache liegt
bloss im Begriffe; man muss das Zusammen der Mehrern
voraussetzen, damit die neue Erscheinung nicht die
Identität dessen verletze, an dem sie erscheint. -- Ueber
der Betrachtung der Zeit-Verhältnisse geht bey Kant
das wesentliche Merkmal des Eingreifens ganz verloren;
und je schlechter nun eben in diesem Puncte der allge-
mein vorhandene Begriff der Ursache aufgefasst ist, um
desto weniger hätte ein so misverstandener, seiner Be-
deutung und seinem Ursprunge entfremdeter Gedanke,
unter dem Namen einer Kategorie für eine Form des
Denkens ausgegeben werden sollen.

Statt einer vesten Form des Denkens zeigen sich in
der Annahme einer Ursache zu der Veränderung viel-
mehr die ersten nothwendigen Schritte der Untersuchung;

gen, wie denn die Wirkung in dem Einen habe erfol-
gen können, vermöge des andern? Wobey nur so viel
klar ist, daſs dazu Mehr gehöre, als bloſses Nebeneinan-
der seyn, daſs das Zusammenkommen der Ursache und
des leidenden Gegenstandes die bloſs räumliche oder zeit-
liche Nähe überschreiten, und etwas dabey vorgehn müsse,
welches vorläufig mit den Worten Eingreifen, Ver-
wandtseyn und sich gegenseitig binden
, bezeich-
net werden könne.

Hier nun muſs der gemeine Verstand, wie er unter
andern in der, so eben gebrauchten, metaphorischen
Sprache der Chemiker sich äuſsert, in Schutz genommen
werden gegen die unrichtigen Ansichten der Kantischen
Schule, welche aus der Verlegenheit entstanden, dem
Causalbegriffe, der allerdings nicht im Gegebenen unmit-
telbar gefunden, sondern in dasselbe hineingetragen wird,
seinen Ursprung nachzuweisen. Kant lehnte in dieser
Verlegenheit die Causalität an die Zeit, — mit der sie
gerade gar nichts gemein hat! Es ist längst bemerkt,
daſs zwischen Ursache und Wirkung sich kein Vorher
und Nachher einschieben darf, als ob die Wirkung noch
dürfte auf sich warten lassen, nachdem sie schon voll-
ständig begründet ist. Die Priorität der Ursache liegt
bloſs im Begriffe; man muſs das Zusammen der Mehrern
voraussetzen, damit die neue Erscheinung nicht die
Identität dessen verletze, an dem sie erscheint. — Ueber
der Betrachtung der Zeit-Verhältnisse geht bey Kant
das wesentliche Merkmal des Eingreifens ganz verloren;
und je schlechter nun eben in diesem Puncte der allge-
mein vorhandene Begriff der Ursache aufgefaſst ist, um
desto weniger hätte ein so misverstandener, seiner Be-
deutung und seinem Ursprunge entfremdeter Gedanke,
unter dem Namen einer Kategorie für eine Form des
Denkens ausgegeben werden sollen.

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der Annahme einer Ursache zu der Veränderung viel-
mehr die ersten nothwendigen Schritte der Untersuchung;

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[137/0157] gen, wie denn die Wirkung in dem Einen habe erfol- gen können, vermöge des andern? Wobey nur so viel klar ist, daſs dazu Mehr gehöre, als bloſses Nebeneinan- der seyn, daſs das Zusammenkommen der Ursache und des leidenden Gegenstandes die bloſs räumliche oder zeit- liche Nähe überschreiten, und etwas dabey vorgehn müsse, welches vorläufig mit den Worten Eingreifen, Ver- wandtseyn und sich gegenseitig binden, bezeich- net werden könne. Hier nun muſs der gemeine Verstand, wie er unter andern in der, so eben gebrauchten, metaphorischen Sprache der Chemiker sich äuſsert, in Schutz genommen werden gegen die unrichtigen Ansichten der Kantischen Schule, welche aus der Verlegenheit entstanden, dem Causalbegriffe, der allerdings nicht im Gegebenen unmit- telbar gefunden, sondern in dasselbe hineingetragen wird, seinen Ursprung nachzuweisen. Kant lehnte in dieser Verlegenheit die Causalität an die Zeit, — mit der sie gerade gar nichts gemein hat! Es ist längst bemerkt, daſs zwischen Ursache und Wirkung sich kein Vorher und Nachher einschieben darf, als ob die Wirkung noch dürfte auf sich warten lassen, nachdem sie schon voll- ständig begründet ist. Die Priorität der Ursache liegt bloſs im Begriffe; man muſs das Zusammen der Mehrern voraussetzen, damit die neue Erscheinung nicht die Identität dessen verletze, an dem sie erscheint. — Ueber der Betrachtung der Zeit-Verhältnisse geht bey Kant das wesentliche Merkmal des Eingreifens ganz verloren; und je schlechter nun eben in diesem Puncte der allge- mein vorhandene Begriff der Ursache aufgefaſst ist, um desto weniger hätte ein so misverstandener, seiner Be- deutung und seinem Ursprunge entfremdeter Gedanke, unter dem Namen einer Kategorie für eine Form des Denkens ausgegeben werden sollen. Statt einer vesten Form des Denkens zeigen sich in der Annahme einer Ursache zu der Veränderung viel- mehr die ersten nothwendigen Schritte der Untersuchung;

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 1. Königsberg, 1824, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie01_1824/157>, abgerufen am 24.11.2024.