pirismus; und ihre Fortschritte sind reissend. Der Re- spect, welchen ehedem die Wissenschaft dem Staate und der Kirche einflösste, wird nicht grösser sondern klei- ner. -- Wäre das Publicum stärker gewesen, so hätten einige Schriftsteller nicht so viel schaden können.
§. 32.
Um über den Begriff eines Subjects mit mannigfal- tigen und wider einander wirkenden Vorstellungen etwas zu entscheiden: kann man sich theils an seinen höhern Gattungsbegriff, den einer Einheit, welche ein ge- genseitig widerstrebendes Mannigfaltiges ein- schliesse, theils an das specifische Merkmal wenden, dass von Vorstellungen, und einem Subjecte dersel- ben die Rede sey. Die eine wie die andre Betrachtungs- art erfordert allgemein-metaphysische Reflexionen.
Der Begriff der Vorstellung bezeichnet das Vorge- stellte als etwas Nicht-Reales, als ein blosses Bild; wel- ches, um vorhanden zu seyn, einer fremden Realität be- darf, nämlich des realen Subjects. Kann man nun die Qualität desjenigen Wesens, welches das Subject der Vorstellung ausmacht, unmittelbar darin setzen, dass es ein Vorstellendes (die Existenz zu gewissen Bildern) sey? Um diese Frage zu beantworten, müsste man überlegen, ob der Begriff einer solchen Qualität eine absolute Po- sition vertrage? (Man sehe in meinen Hauptpuncten der Metaphysik die §§. 1. und 2.) Im Fall einer verneinen- den Antwort wird folgen, dass dem Wesen das Vorstel- len zufällig sey; und es wird weiter nachzusehn seyn, in wiefern einem Wesen überhaupt Accidenzen zugeschrie- ben werden können; welches auf die Theorie der Stö- rungen und Selbsterhaltungen zurückkommt. (Hauptp. der Metaph. §. 5.)
Eben dahin weiset die andere Reihe von Betrach- tungen. Einheit eines widerstrebenden Mannigfaltigen ist ein Begriff, der, mit innern Gegensätzen behaftet, eine
pirismus; und ihre Fortschritte sind reiſsend. Der Re- spect, welchen ehedem die Wissenschaft dem Staate und der Kirche einflöſste, wird nicht gröſser sondern klei- ner. — Wäre das Publicum stärker gewesen, so hätten einige Schriftsteller nicht so viel schaden können.
§. 32.
Um über den Begriff eines Subjects mit mannigfal- tigen und wider einander wirkenden Vorstellungen etwas zu entscheiden: kann man sich theils an seinen höhern Gattungsbegriff, den einer Einheit, welche ein ge- genseitig widerstrebendes Mannigfaltiges ein- schlieſse, theils an das specifische Merkmal wenden, daſs von Vorstellungen, und einem Subjecte dersel- ben die Rede sey. Die eine wie die andre Betrachtungs- art erfordert allgemein-metaphysische Reflexionen.
Der Begriff der Vorstellung bezeichnet das Vorge- stellte als etwas Nicht-Reales, als ein bloſses Bild; wel- ches, um vorhanden zu seyn, einer fremden Realität be- darf, nämlich des realen Subjects. Kann man nun die Qualität desjenigen Wesens, welches das Subject der Vorstellung ausmacht, unmittelbar darin setzen, daſs es ein Vorstellendes (die Existenz zu gewissen Bildern) sey? Um diese Frage zu beantworten, müſste man überlegen, ob der Begriff einer solchen Qualität eine absolute Po- sition vertrage? (Man sehe in meinen Hauptpuncten der Metaphysik die §§. 1. und 2.) Im Fall einer verneinen- den Antwort wird folgen, daſs dem Wesen das Vorstel- len zufällig sey; und es wird weiter nachzusehn seyn, in wiefern einem Wesen überhaupt Accidenzen zugeschrie- ben werden können; welches auf die Theorie der Stö- rungen und Selbsterhaltungen zurückkommt. (Hauptp. der Metaph. §. 5.)
Eben dahin weiset die andere Reihe von Betrach- tungen. Einheit eines widerstrebenden Mannigfaltigen ist ein Begriff, der, mit innern Gegensätzen behaftet, eine
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pirismus; und ihre Fortschritte sind reiſsend. Der Re-
spect, welchen ehedem die Wissenschaft dem Staate
und der Kirche einflöſste, wird nicht gröſser sondern klei-
ner. — Wäre das Publicum stärker gewesen, so hätten
einige Schriftsteller nicht so viel schaden können.
§. 32.
Um über den Begriff eines Subjects mit mannigfal-
tigen und wider einander wirkenden Vorstellungen etwas
zu entscheiden: kann man sich theils an seinen höhern
Gattungsbegriff, den einer Einheit, welche ein ge-
genseitig widerstrebendes Mannigfaltiges ein-
schlieſse, theils an das specifische Merkmal wenden,
daſs von Vorstellungen, und einem Subjecte dersel-
ben die Rede sey. Die eine wie die andre Betrachtungs-
art erfordert allgemein-metaphysische Reflexionen.
Der Begriff der Vorstellung bezeichnet das Vorge-
stellte als etwas Nicht-Reales, als ein bloſses Bild; wel-
ches, um vorhanden zu seyn, einer fremden Realität be-
darf, nämlich des realen Subjects. Kann man nun die
Qualität desjenigen Wesens, welches das Subject der
Vorstellung ausmacht, unmittelbar darin setzen, daſs es
ein Vorstellendes (die Existenz zu gewissen Bildern) sey?
Um diese Frage zu beantworten, müſste man überlegen,
ob der Begriff einer solchen Qualität eine absolute Po-
sition vertrage? (Man sehe in meinen Hauptpuncten der
Metaphysik die §§. 1. und 2.) Im Fall einer verneinen-
den Antwort wird folgen, daſs dem Wesen das Vorstel-
len zufällig sey; und es wird weiter nachzusehn seyn, in
wiefern einem Wesen überhaupt Accidenzen zugeschrie-
ben werden können; welches auf die Theorie der Stö-
rungen und Selbsterhaltungen zurückkommt. (Hauptp. der
Metaph. §. 5.)
Eben dahin weiset die andere Reihe von Betrach-
tungen. Einheit eines widerstrebenden Mannigfaltigen ist
ein Begriff, der, mit innern Gegensätzen behaftet, eine
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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 1. Königsberg, 1824, S. 118. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie01_1824/138>, abgerufen am 21.11.2024.
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