dass in dem gegebenen Begriff das Object fehlt, haben wir oben gesehn.
Nichts destoweniger bringt die Abweichung vom Ge- gebenen uns in Verlegenheit. Vom dem Vorstellen ei- nes unbekannten Objects liesse sich gar viel reden, ohne dass dies mit dem vorliegenden Problem nur den minde- sten Zusammenhang hätte. Wir finden uns in Gefahr, in ein willkührliches Denken hineinzugerathen, sobald wir den Begriff des Ich nicht in seiner Strenge vesthalten.
Dieses also darf nicht vernachlässigt werden. Und wir können demnach dem Ich nur unter der Voraus- setzung ein Object leihen, dass es aus der Selbst-Auf- fassung wieder verschwinde.
Verschwindet es aber: so entsteht von neuem das Bedürfniss eines Objects; obgleich nicht gerade des nämlichen, welches wir zuerst eingeschoben hatten.
Es steht uns also frey, mehrere und verschie- dene Objecte abwechselnd dem Ich zum Grunde zu le- gen. Und nicht bloss steht es frey, sondern bey näherer Ueberlegung findet sich dieses durchaus nothwendig.
Wir würden nämlich im Denken gar nicht von der Stelle rücken, und die Auflösung des Problems nicht im mindesten fördern, wofern wir uns fortdauernd im Kreise jener beyden Reflexionen herumtreiben wollten: der einen, dass das Ich eines von ihm zu unterscheiden- den Objects bedürfe; der andern, dass das Ich kein von ihm unterschiedenes Object als Sich selbst ansehn könne. Diese Betrachtungen würden uns dahin bringen, das geliehene Object wieder abzuson- dern, und es dann nochmals herbeyzubringen, um es nochmals wegzunehmen; eine Oscillation ganz ohne Ende und ohne Gewinn. Wollten wir dabey das Successive unseres Nachdenkens aufheben, und nach dem Resultat fragen, so wäre es der klare Widerspruch: zum Ich gehört ein fremdes Object, und gehört auch nicht zu ihm. Ein Widerspruch, den man, so wie er vorliegt, durch keine Distinction lösen kann; denn so
daſs in dem gegebenen Begriff das Object fehlt, haben wir oben gesehn.
Nichts destoweniger bringt die Abweichung vom Ge- gebenen uns in Verlegenheit. Vom dem Vorstellen ei- nes unbekannten Objects lieſse sich gar viel reden, ohne daſs dies mit dem vorliegenden Problem nur den minde- sten Zusammenhang hätte. Wir finden uns in Gefahr, in ein willkührliches Denken hineinzugerathen, sobald wir den Begriff des Ich nicht in seiner Strenge vesthalten.
Dieses also darf nicht vernachlässigt werden. Und wir können demnach dem Ich nur unter der Voraus- setzung ein Object leihen, daſs es aus der Selbst-Auf- fassung wieder verschwinde.
Verschwindet es aber: so entsteht von neuem das Bedürfniſs eines Objects; obgleich nicht gerade des nämlichen, welches wir zuerst eingeschoben hatten.
Es steht uns also frey, mehrere und verschie- dene Objecte abwechselnd dem Ich zum Grunde zu le- gen. Und nicht bloſs steht es frey, sondern bey näherer Ueberlegung findet sich dieses durchaus nothwendig.
Wir würden nämlich im Denken gar nicht von der Stelle rücken, und die Auflösung des Problems nicht im mindesten fördern, wofern wir uns fortdauernd im Kreise jener beyden Reflexionen herumtreiben wollten: der einen, daſs das Ich eines von ihm zu unterscheiden- den Objects bedürfe; der andern, daſs das Ich kein von ihm unterschiedenes Object als Sich selbst ansehn könne. Diese Betrachtungen würden uns dahin bringen, das geliehene Object wieder abzuson- dern, und es dann nochmals herbeyzubringen, um es nochmals wegzunehmen; eine Oscillation ganz ohne Ende und ohne Gewinn. Wollten wir dabey das Successive unseres Nachdenkens aufheben, und nach dem Resultat fragen, so wäre es der klare Widerspruch: zum Ich gehört ein fremdes Object, und gehört auch nicht zu ihm. Ein Widerspruch, den man, so wie er vorliegt, durch keine Distinction lösen kann; denn so
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daſs in dem gegebenen Begriff das Object fehlt, haben
wir oben gesehn.
Nichts destoweniger bringt die Abweichung vom Ge-
gebenen uns in Verlegenheit. Vom dem Vorstellen ei-
nes unbekannten Objects lieſse sich gar viel reden, ohne
daſs dies mit dem vorliegenden Problem nur den minde-
sten Zusammenhang hätte. Wir finden uns in Gefahr,
in ein willkührliches Denken hineinzugerathen, sobald wir
den Begriff des Ich nicht in seiner Strenge vesthalten.
Dieses also darf nicht vernachlässigt werden. Und
wir können demnach dem Ich nur unter der Voraus-
setzung ein Object leihen, daſs es aus der Selbst-Auf-
fassung wieder verschwinde.
Verschwindet es aber: so entsteht von neuem das
Bedürfniſs eines Objects; obgleich nicht gerade des
nämlichen, welches wir zuerst eingeschoben hatten.
Es steht uns also frey, mehrere und verschie-
dene Objecte abwechselnd dem Ich zum Grunde zu le-
gen. Und nicht bloſs steht es frey, sondern bey näherer
Ueberlegung findet sich dieses durchaus nothwendig.
Wir würden nämlich im Denken gar nicht von der
Stelle rücken, und die Auflösung des Problems nicht im
mindesten fördern, wofern wir uns fortdauernd im Kreise
jener beyden Reflexionen herumtreiben wollten: der einen,
daſs das Ich eines von ihm zu unterscheiden-
den Objects bedürfe; der andern, daſs das Ich
kein von ihm unterschiedenes Object als Sich
selbst ansehn könne. Diese Betrachtungen würden
uns dahin bringen, das geliehene Object wieder abzuson-
dern, und es dann nochmals herbeyzubringen, um es
nochmals wegzunehmen; eine Oscillation ganz ohne Ende
und ohne Gewinn. Wollten wir dabey das Successive
unseres Nachdenkens aufheben, und nach dem Resultat
fragen, so wäre es der klare Widerspruch: zum Ich
gehört ein fremdes Object, und gehört auch
nicht zu ihm. Ein Widerspruch, den man, so wie er
vorliegt, durch keine Distinction lösen kann; denn so
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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 1. Königsberg, 1824, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie01_1824/123>, abgerufen am 21.11.2024.
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