nen, und bloss in Gedanken zusammengeklebten, der Baum, und ein gewisses Vorstellen von demselben Baume, werden für Eins ausgegeben. Diese Einheit ist ein lee- res Wort ohne allen Sinn; und daraus sieht man, dass es unüberlegt war, dem ersten besten, durch seine eigenthümliche Qualität schon bestimmten, Ge- genstande, Selbstbewusstseyn zuschreiben zu wollen. Man setze statt des Baumes die Seele, als ein Wesen mit al- lerley Kräften, das unter andern auch Selbstbewusstseyn habe. Man wird gerade den nämlichen Fehler begangen haben. Die Seele, als ein solches und kein anderes We- sen, soll ein Bild von sich selbst mit sich tragen; und damit ein Bild der Art vorhanden seyn könne, wird ein eignes Vermögen angenommen, welches sey ein Vermö- gen ein solches Bild zu tragen oder vorzustellen. Nun meint man, die Seele wisse von sich, weil man in Ge- danken eine Summe gemacht hat aus der Seele und aus dem Vermögen, welches ein Bild von der Seele bereitet. Man dringt wohl gar darauf, dass beydes zusammen nur Ein reales Wesen seyn solle. Und jetzt beantworte man nur noch die Frage, was für ein Wesen das sey? Man gebe die Qualität desselben an. Die Antwort wird sich in zwey Theile spalten; die Seele, und das Vorstellen dieser Seele. Daraus wird nimmermehr Eins, so wenig wie aus der Person, die sich malen lässt, und dem ge- genüber sitzenden Maler. -- Zum Glück weiss unser Selbstbewusstseyn auch gar nichts von dem Wesen un- serer Seele zu sagen; und um so eher dürfte man in der Psychologie jenes Grundvermögen der Selbstauffassung sparen, vor welchem das, was wir wahrhaft sind, sich doch nicht sehn lässt.
Nach dieser Digression kehren wir zurück zum Be- griff des Ich. Derselbe ist weit entfernt, uns in die eben erwähnte Verlegenheit zu setzen. Ganz ein anderes ist, was er erheischt. Das Object soll keinesweges ein Ding an sich, es soll das wahre Subject selbst seyn. Da nun auch das Subject nichts für sich allein, sondern lediglich
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nen, und bloſs in Gedanken zusammengeklebten, der Baum, und ein gewisses Vorstellen von demselben Baume, werden für Eins ausgegeben. Diese Einheit ist ein lee- res Wort ohne allen Sinn; und daraus sieht man, daſs es unüberlegt war, dem ersten besten, durch seine eigenthümliche Qualität schon bestimmten, Ge- genstande, Selbstbewuſstseyn zuschreiben zu wollen. Man setze statt des Baumes die Seele, als ein Wesen mit al- lerley Kräften, das unter andern auch Selbstbewuſstseyn habe. Man wird gerade den nämlichen Fehler begangen haben. Die Seele, als ein solches und kein anderes We- sen, soll ein Bild von sich selbst mit sich tragen; und damit ein Bild der Art vorhanden seyn könne, wird ein eignes Vermögen angenommen, welches sey ein Vermö- gen ein solches Bild zu tragen oder vorzustellen. Nun meint man, die Seele wisse von sich, weil man in Ge- danken eine Summe gemacht hat aus der Seele und aus dem Vermögen, welches ein Bild von der Seele bereitet. Man dringt wohl gar darauf, daſs beydes zusammen nur Ein reales Wesen seyn solle. Und jetzt beantworte man nur noch die Frage, was für ein Wesen das sey? Man gebe die Qualität desselben an. Die Antwort wird sich in zwey Theile spalten; die Seele, und das Vorstellen dieser Seele. Daraus wird nimmermehr Eins, so wenig wie aus der Person, die sich malen läſst, und dem ge- genüber sitzenden Maler. — Zum Glück weiſs unser Selbstbewuſstseyn auch gar nichts von dem Wesen un- serer Seele zu sagen; und um so eher dürfte man in der Psychologie jenes Grundvermögen der Selbstauffassung sparen, vor welchem das, was wir wahrhaft sind, sich doch nicht sehn läſst.
Nach dieser Digression kehren wir zurück zum Be- griff des Ich. Derselbe ist weit entfernt, uns in die eben erwähnte Verlegenheit zu setzen. Ganz ein anderes ist, was er erheischt. Das Object soll keinesweges ein Ding an sich, es soll das wahre Subject selbst seyn. Da nun auch das Subject nichts für sich allein, sondern lediglich
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Baum, und ein gewisses Vorstellen von demselben Baume,
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es unüberlegt war, dem ersten besten, durch seine
eigenthümliche Qualität schon bestimmten, Ge-
genstande, Selbstbewuſstseyn zuschreiben zu wollen. Man
setze statt des Baumes die Seele, als ein Wesen mit al-
lerley Kräften, das unter andern auch Selbstbewuſstseyn
habe. Man wird gerade den nämlichen Fehler begangen
haben. Die Seele, als ein solches und kein anderes We-
sen, soll ein Bild von sich selbst mit sich tragen; und
damit ein Bild der Art vorhanden seyn könne, wird ein
eignes Vermögen angenommen, welches sey ein Vermö-
gen ein solches Bild zu tragen oder vorzustellen. Nun
meint man, die Seele wisse von sich, weil man in Ge-
danken eine Summe gemacht hat aus der Seele und aus
dem Vermögen, welches ein Bild von der Seele bereitet.
Man dringt wohl gar darauf, daſs beydes zusammen nur
Ein reales Wesen seyn solle. Und jetzt beantworte man
nur noch die Frage, was für ein Wesen das sey? Man
gebe die Qualität desselben an. Die Antwort wird sich
in zwey Theile spalten; die Seele, und das Vorstellen
dieser Seele. Daraus wird nimmermehr Eins, so wenig
wie aus der Person, die sich malen läſst, und dem ge-
genüber sitzenden Maler. — Zum Glück weiſs unser
Selbstbewuſstseyn auch gar nichts von dem Wesen un-
serer Seele zu sagen; und um so eher dürfte man in der
Psychologie jenes Grundvermögen der Selbstauffassung
sparen, vor welchem das, was wir wahrhaft sind, sich
doch nicht sehn läſst.
Nach dieser Digression kehren wir zurück zum Be-
griff des Ich. Derselbe ist weit entfernt, uns in die eben
erwähnte Verlegenheit zu setzen. Ganz ein anderes ist,
was er erheischt. Das Object soll keinesweges ein Ding
an sich, es soll das wahre Subject selbst seyn. Da nun
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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 1. Königsberg, 1824, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie01_1824/117>, abgerufen am 21.11.2024.
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