1) Das Ich erscheint als ein im Bewusstseyn Gege- benes, und der Begriff dieses Gegebenen wird für den vollständigen Ausdruck desselben gehalten. Aber es fehlt ihm sowohl am Objecte, als am Subjecte, mithin an sei- ner ganzen Materie.
2) Die vorgegebene Identität des Objects und Sub- jects widerstreitet dem unvermeidlichen Gegensatze zwi- schen beyden; mithin ist der Begriff der Form nach un- gereimt.
Die Erläuterung des ersten Punctes zerfällt wiederum zwiefach; es muss sowohl der Mangel des Objects, als des Subjects nachgewiesen werden.
Zuvörderst: Wer, oder Was ist das Object des Selbstbewusstseyns? Die Antwort muss in dem Satze lie- gen: das Ich stellt Sich vor. Dieses Sich ist das Ich selbst. Man substituire den Begriff des Ich, so verwan- delt sich der erste Satz in folgenden: das Ich stellt vor das Sich vorstellende. Für den Ausdruck Sich wiederhohle man dieselbe Substitution, so kommt heraus: das Ich stellt vor das, was vorstellt das Sich vor- stellende. Hier kehrt der Ausdruck Sich von neuem zurück; es bedarf der nämlichen Substitution. Dieselbe ergiebt den Satz: das Ich stellt vor das, was vorstellt das Vorstellende des Sich-Vorstellens. Erneuert man die Frage, was dieses Sich bedeute? Wer denn am Ende eigentlich der Vorgestellte sey? so kann wie- derum keine andere Antwort erfolgen, als durch die Auf- lösung des Sich in sein Ich, und des Ich in das Sich vorstellen. Dieser Cirkel wird ins Unendliche fort durchlaufen werden, ohne Angabe des eigentlichen Ob- jects in der Vorstellung Ich. -- Der Genauigkeit wegen kann man noch bemerken, dass in den nachgewiesenen Umwandlungen des ersten Satzes eine Bestimmung aus- gelassen ist, die hier nichts zur Sache thut; nämlich dass das Ich nicht überhaupt irgend ein Ich, sondern Sich, mithin nicht bloss das Sich vorstellende, sondern sein eignes Sich-Vorstellen zum Gegenstande hat. Allein
1) Das Ich erscheint als ein im Bewuſstseyn Gege- benes, und der Begriff dieses Gegebenen wird für den vollständigen Ausdruck desselben gehalten. Aber es fehlt ihm sowohl am Objecte, als am Subjecte, mithin an sei- ner ganzen Materie.
2) Die vorgegebene Identität des Objects und Sub- jects widerstreitet dem unvermeidlichen Gegensatze zwi- schen beyden; mithin ist der Begriff der Form nach un- gereimt.
Die Erläuterung des ersten Punctes zerfällt wiederum zwiefach; es muſs sowohl der Mangel des Objects, als des Subjects nachgewiesen werden.
Zuvörderst: Wer, oder Was ist das Object des Selbstbewuſstseyns? Die Antwort muſs in dem Satze lie- gen: das Ich stellt Sich vor. Dieses Sich ist das Ich selbst. Man substituire den Begriff des Ich, so verwan- delt sich der erste Satz in folgenden: das Ich stellt vor das Sich vorstellende. Für den Ausdruck Sich wiederhohle man dieselbe Substitution, so kommt heraus: das Ich stellt vor das, was vorstellt das Sich vor- stellende. Hier kehrt der Ausdruck Sich von neuem zurück; es bedarf der nämlichen Substitution. Dieselbe ergiebt den Satz: das Ich stellt vor das, was vorstellt das Vorstellende des Sich-Vorstellens. Erneuert man die Frage, was dieses Sich bedeute? Wer denn am Ende eigentlich der Vorgestellte sey? so kann wie- derum keine andere Antwort erfolgen, als durch die Auf- lösung des Sich in sein Ich, und des Ich in das Sich vorstellen. Dieser Cirkel wird ins Unendliche fort durchlaufen werden, ohne Angabe des eigentlichen Ob- jects in der Vorstellung Ich. — Der Genauigkeit wegen kann man noch bemerken, daſs in den nachgewiesenen Umwandlungen des ersten Satzes eine Bestimmung aus- gelassen ist, die hier nichts zur Sache thut; nämlich daſs das Ich nicht überhaupt irgend ein Ich, sondern Sich, mithin nicht bloſs das Sich vorstellende, sondern sein eignes Sich-Vorstellen zum Gegenstande hat. Allein
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1) Das Ich erscheint als ein im Bewuſstseyn Gege-
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ihm sowohl am Objecte, als am Subjecte, mithin an sei-
ner ganzen Materie.
2) Die vorgegebene Identität des Objects und Sub-
jects widerstreitet dem unvermeidlichen Gegensatze zwi-
schen beyden; mithin ist der Begriff der Form nach un-
gereimt.
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des Subjects nachgewiesen werden.
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Selbstbewuſstseyns? Die Antwort muſs in dem Satze lie-
gen: das Ich stellt Sich vor. Dieses Sich ist das Ich
selbst. Man substituire den Begriff des Ich, so verwan-
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das Sich vorstellende. Für den Ausdruck Sich
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das Ich stellt vor das, was vorstellt das Sich vor-
stellende. Hier kehrt der Ausdruck Sich von neuem
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das Vorstellende des Sich-Vorstellens. Erneuert
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am Ende eigentlich der Vorgestellte sey? so kann wie-
derum keine andere Antwort erfolgen, als durch die Auf-
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vorstellen. Dieser Cirkel wird ins Unendliche fort
durchlaufen werden, ohne Angabe des eigentlichen Ob-
jects in der Vorstellung Ich. — Der Genauigkeit wegen
kann man noch bemerken, daſs in den nachgewiesenen
Umwandlungen des ersten Satzes eine Bestimmung aus-
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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 1. Königsberg, 1824, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie01_1824/114>, abgerufen am 24.11.2024.
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