läßt sie vielleicht den Sonnenstrahl, so wie ihn unser grobes Auge blickt, nicht in ihre Verbor- genheit. Rein, existiert sie bloß in ihrer ur- sprünglichen Vortreflichkeit, schwebt im Ge- nuß ihrer selbst: und vermischt, erkennt sie nur die Vermischung.
Liebe und Krieg ist ewig auf den Grenzen verschiedner Natur; jene nennen wir Ordnung, Leben, Schönheit, und wie die Namen alle lau- ten. Wie Kinder scheuen wir Tod und Verge- hen; wir würden bey beständiger Dauer in im- mer einerley Zusammensetzung vor Langerweile endlich auf ewiger Folter liegen in unsrer kleinen Eingeschränktheit. Die Natur hat sich aus eig- nen Grundtrieben dieß Spiel von Werden und Auflösen so zubereitet, um immer in neuen Ge- fühlen seelig fortzuschweben; und unser Beruf ist, dieß zu erkennen, und glückseelig zu seyn. Pythagoras hatte Recht: die Welt ist eine Mu- sik! Wo die Gewalt der Konsonanzen und Dis-
sonan-
laͤßt ſie vielleicht den Sonnenſtrahl, ſo wie ihn unſer grobes Auge blickt, nicht in ihre Verbor- genheit. Rein, exiſtiert ſie bloß in ihrer ur- ſpruͤnglichen Vortreflichkeit, ſchwebt im Ge- nuß ihrer ſelbſt: und vermiſcht, erkennt ſie nur die Vermiſchung.
Liebe und Krieg iſt ewig auf den Grenzen verſchiedner Natur; jene nennen wir Ordnung, Leben, Schoͤnheit, und wie die Namen alle lau- ten. Wie Kinder ſcheuen wir Tod und Verge- hen; wir wuͤrden bey beſtaͤndiger Dauer in im- mer einerley Zuſammenſetzung vor Langerweile endlich auf ewiger Folter liegen in unſrer kleinen Eingeſchraͤnktheit. Die Natur hat ſich aus eig- nen Grundtrieben dieß Spiel von Werden und Aufloͤſen ſo zubereitet, um immer in neuen Ge- fuͤhlen ſeelig fortzuſchweben; und unſer Beruf iſt, dieß zu erkennen, und gluͤckſeelig zu ſeyn. Pythagoras hatte Recht: die Welt iſt eine Mu- ſik! Wo die Gewalt der Konſonanzen und Diſ-
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laͤßt ſie vielleicht den Sonnenſtrahl, ſo wie ihn
unſer grobes Auge blickt, nicht in ihre Verbor-
genheit. Rein, exiſtiert ſie bloß in ihrer ur-
ſpruͤnglichen Vortreflichkeit, ſchwebt im Ge-
nuß ihrer ſelbſt: und vermiſcht, erkennt ſie nur
die Vermiſchung.
Liebe und Krieg iſt ewig auf den Grenzen
verſchiedner Natur; jene nennen wir Ordnung,
Leben, Schoͤnheit, und wie die Namen alle lau-
ten. Wie Kinder ſcheuen wir Tod und Verge-
hen; wir wuͤrden bey beſtaͤndiger Dauer in im-
mer einerley Zuſammenſetzung vor Langerweile
endlich auf ewiger Folter liegen in unſrer kleinen
Eingeſchraͤnktheit. Die Natur hat ſich aus eig-
nen Grundtrieben dieß Spiel von Werden und
Aufloͤſen ſo zubereitet, um immer in neuen Ge-
fuͤhlen ſeelig fortzuſchweben; und unſer Beruf
iſt, dieß zu erkennen, und gluͤckſeelig zu ſeyn.
Pythagoras hatte Recht: die Welt iſt eine Mu-
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[Heinse, Wilhelm]: Ardinghello und die glückseeligen Inseln. Bd. 2. Lemgo, 1787, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heinse_ardinghello02_1787/164>, abgerufen am 25.11.2024.
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