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[Heinse, Wilhelm]: Ardinghello und die glückseeligen Inseln. Bd. 2. Lemgo, 1787.

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und neue Art übriger Schönheit findet hier nicht
statt. Der Künstler macht vor den Leiden, und
ans Kreuz und beym Herunternehmen davon ei-
nen richtigen ordentlichen Leib, sonst hat die ei-
gentliche Kunst da kein weiter Feld, höhere For-
men aus der Natur zu schöpfen.

An gewisse Theile und ihre Bestimmung
darf man gar nicht denken, und wie sie bey an-
dern Menschen nicht umsonst sind, und wirken:
geschweige sie langsam mit dem Reiz der alten
Künstler bilden. Seine Gestalt kann also nie
ein vollkommen freyes Ganzes, ein Werk
der ersten Klasse
werden.

Wollen wir in die griechische Fabel und
Geschichte übergehen, und unsre Vorstellungen
daraus hernehmen: so erhalten wir meistens nur
einen verwirrten Nachklang; ein wahres Echo
ohne Sinn, das nur einzelne Sylben wiederhohlt.
Wer ist außerdem so frech eitel, daß er sich einbil-
den kann, einen bessern Apollo als den Vatikani-

schen,

und neue Art uͤbriger Schoͤnheit findet hier nicht
ſtatt. Der Kuͤnſtler macht vor den Leiden, und
ans Kreuz und beym Herunternehmen davon ei-
nen richtigen ordentlichen Leib, ſonſt hat die ei-
gentliche Kunſt da kein weiter Feld, hoͤhere For-
men aus der Natur zu ſchoͤpfen.

An gewiſſe Theile und ihre Beſtimmung
darf man gar nicht denken, und wie ſie bey an-
dern Menſchen nicht umſonſt ſind, und wirken:
geſchweige ſie langſam mit dem Reiz der alten
Kuͤnſtler bilden. Seine Geſtalt kann alſo nie
ein vollkommen freyes Ganzes, ein Werk
der erſten Klaſſe
werden.

Wollen wir in die griechiſche Fabel und
Geſchichte uͤbergehen, und unſre Vorſtellungen
daraus hernehmen: ſo erhalten wir meiſtens nur
einen verwirrten Nachklang; ein wahres Echo
ohne Sinn, das nur einzelne Sylben wiederhohlt.
Wer iſt außerdem ſo frech eitel, daß er ſich einbil-
den kann, einen beſſern Apollo als den Vatikani-

ſchen,
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[109/0117] und neue Art uͤbriger Schoͤnheit findet hier nicht ſtatt. Der Kuͤnſtler macht vor den Leiden, und ans Kreuz und beym Herunternehmen davon ei- nen richtigen ordentlichen Leib, ſonſt hat die ei- gentliche Kunſt da kein weiter Feld, hoͤhere For- men aus der Natur zu ſchoͤpfen. An gewiſſe Theile und ihre Beſtimmung darf man gar nicht denken, und wie ſie bey an- dern Menſchen nicht umſonſt ſind, und wirken: geſchweige ſie langſam mit dem Reiz der alten Kuͤnſtler bilden. Seine Geſtalt kann alſo nie ein vollkommen freyes Ganzes, ein Werk der erſten Klaſſe werden. Wollen wir in die griechiſche Fabel und Geſchichte uͤbergehen, und unſre Vorſtellungen daraus hernehmen: ſo erhalten wir meiſtens nur einen verwirrten Nachklang; ein wahres Echo ohne Sinn, das nur einzelne Sylben wiederhohlt. Wer iſt außerdem ſo frech eitel, daß er ſich einbil- den kann, einen beſſern Apollo als den Vatikani- ſchen,

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Zitationshilfe: [Heinse, Wilhelm]: Ardinghello und die glückseeligen Inseln. Bd. 2. Lemgo, 1787, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heinse_ardinghello02_1787/117>, abgerufen am 22.11.2024.