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[Heinse, Wilhelm]: Ardinghello und die glückseeligen Inseln. Bd. 2. Lemgo, 1787.

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in der Geschichte, der heutigen Fabel, unsrer
Religion vorzustellen, das wahrscheinlich und
natürlich, nicht erkünstelt und bloß erlernter
fremder Kram wäre? Das höchste ist eine allge-
meine, ewig einerleye idealische Gestalt von
Mann und Weib in jedem Alter ohne Zweck und
Charakter.

Nehmen wir zum Beyspiel unsern Heiland
als den Hauptvorwurf zur Auszierung unsrer
Tempel! Was hat der menschliche Körper mit
dem Gott der Christen zu schaffen? Welche
Schönheiten von Apollo, Merkur, anderm
griechischen himmlischen Jüngling oder wirkli-
chem Erdensohn soll man, technisch zu reden,
dem ganz außerordentlichen jungen Juden an-
bilden, ohne auf irgend eine Weise in Wider-
spruch zu gerathen? Jede griechische Gottheit
war nur ein Ideal einer besondern Klasse mensch-
licher Vollkommenheit. Sein Bild ist lediglich
ein Werk übernatürlichen Ausdrucks im Gesichte,

und

in der Geſchichte, der heutigen Fabel, unſrer
Religion vorzuſtellen, das wahrſcheinlich und
natuͤrlich, nicht erkuͤnſtelt und bloß erlernter
fremder Kram waͤre? Das hoͤchſte iſt eine allge-
meine, ewig einerleye idealiſche Geſtalt von
Mann und Weib in jedem Alter ohne Zweck und
Charakter.

Nehmen wir zum Beyſpiel unſern Heiland
als den Hauptvorwurf zur Auszierung unſrer
Tempel! Was hat der menſchliche Koͤrper mit
dem Gott der Chriſten zu ſchaffen? Welche
Schoͤnheiten von Apollo, Merkur, anderm
griechiſchen himmliſchen Juͤngling oder wirkli-
chem Erdenſohn ſoll man, techniſch zu reden,
dem ganz außerordentlichen jungen Juden an-
bilden, ohne auf irgend eine Weiſe in Wider-
ſpruch zu gerathen? Jede griechiſche Gottheit
war nur ein Ideal einer beſondern Klaſſe menſch-
licher Vollkommenheit. Sein Bild iſt lediglich
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[108/0116] in der Geſchichte, der heutigen Fabel, unſrer Religion vorzuſtellen, das wahrſcheinlich und natuͤrlich, nicht erkuͤnſtelt und bloß erlernter fremder Kram waͤre? Das hoͤchſte iſt eine allge- meine, ewig einerleye idealiſche Geſtalt von Mann und Weib in jedem Alter ohne Zweck und Charakter. Nehmen wir zum Beyſpiel unſern Heiland als den Hauptvorwurf zur Auszierung unſrer Tempel! Was hat der menſchliche Koͤrper mit dem Gott der Chriſten zu ſchaffen? Welche Schoͤnheiten von Apollo, Merkur, anderm griechiſchen himmliſchen Juͤngling oder wirkli- chem Erdenſohn ſoll man, techniſch zu reden, dem ganz außerordentlichen jungen Juden an- bilden, ohne auf irgend eine Weiſe in Wider- ſpruch zu gerathen? Jede griechiſche Gottheit war nur ein Ideal einer beſondern Klaſſe menſch- licher Vollkommenheit. Sein Bild iſt lediglich ein Werk uͤbernatuͤrlichen Ausdrucks im Geſichte, und

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Zitationshilfe: [Heinse, Wilhelm]: Ardinghello und die glückseeligen Inseln. Bd. 2. Lemgo, 1787, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heinse_ardinghello02_1787/116>, abgerufen am 28.11.2024.