Zweck behangen. Die Lage der Unterkleider, den Wurf der Mäntel und Togen können wir an den Bildsäulen der Alten noch weit weniger nachahmen, als die Form der Glieder; denn uns fehlt dabey ganz die Natur. Wir suchen uns zwar wie Amphibia mit eigen erfundner mahlerischer Tracht zu helfen: aber sie bleibt fast immer eine bloße Ziererey, ohne Reiz und Wir- kung für den, welcher Natur und Wahrheit verlangt, und ist aller Täuschung zuwider.
Und obendrein noch sind die Künstler weit übler dran, wenn sie den Gang der Alten ein- schlagen wollen, als die Philosophen, Redner, Dichter; diese haben immer das unermeßliche Reich der Natur und Sprache unter den Men- schen vor sich, und Gesetz und Gewohnheit hemmt sie weit minder. Wenn einer auch an Vollkommenheit den Phidias, oder Polyklet, Praxiteles, Lysipp, Zeuxis und Apelles errei- chen könnte: was hat er vom nackten Menschen
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Zweck behangen. Die Lage der Unterkleider, den Wurf der Maͤntel und Togen koͤnnen wir an den Bildſaͤulen der Alten noch weit weniger nachahmen, als die Form der Glieder; denn uns fehlt dabey ganz die Natur. Wir ſuchen uns zwar wie Amphibia mit eigen erfundner mahleriſcher Tracht zu helfen: aber ſie bleibt faſt immer eine bloße Ziererey, ohne Reiz und Wir- kung fuͤr den, welcher Natur und Wahrheit verlangt, und iſt aller Taͤuſchung zuwider.
Und obendrein noch ſind die Kuͤnſtler weit uͤbler dran, wenn ſie den Gang der Alten ein- ſchlagen wollen, als die Philoſophen, Redner, Dichter; dieſe haben immer das unermeßliche Reich der Natur und Sprache unter den Men- ſchen vor ſich, und Geſetz und Gewohnheit hemmt ſie weit minder. Wenn einer auch an Vollkommenheit den Phidias, oder Polyklet, Praxiteles, Lyſipp, Zeuxis und Apelles errei- chen koͤnnte: was hat er vom nackten Menſchen
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Zweck behangen. Die Lage der Unterkleider,
den Wurf der Maͤntel und Togen koͤnnen wir an
den Bildſaͤulen der Alten noch weit weniger
nachahmen, als die Form der Glieder; denn
uns fehlt dabey ganz die Natur. Wir ſuchen
uns zwar wie Amphibia mit eigen erfundner
mahleriſcher Tracht zu helfen: aber ſie bleibt faſt
immer eine bloße Ziererey, ohne Reiz und Wir-
kung fuͤr den, welcher Natur und Wahrheit
verlangt, und iſt aller Taͤuſchung zuwider.
Und obendrein noch ſind die Kuͤnſtler weit
uͤbler dran, wenn ſie den Gang der Alten ein-
ſchlagen wollen, als die Philoſophen, Redner,
Dichter; dieſe haben immer das unermeßliche
Reich der Natur und Sprache unter den Men-
ſchen vor ſich, und Geſetz und Gewohnheit
hemmt ſie weit minder. Wenn einer auch an
Vollkommenheit den Phidias, oder Polyklet,
Praxiteles, Lyſipp, Zeuxis und Apelles errei-
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[Heinse, Wilhelm]: Ardinghello und die glückseeligen Inseln. Bd. 2. Lemgo, 1787, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heinse_ardinghello02_1787/115>, abgerufen am 25.11.2024.
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