[Heinse, Wilhelm]: Ardinghello und die glückseeligen Inseln. Bd. 2. Lemgo, 1787.Laß mich frey reden! Die Kunst hat so Bey einer gothischen Moral kann keine an- Tag G 4
Laß mich frey reden! Die Kunſt hat ſo Bey einer gothiſchen Moral kann keine an- Tag G 4
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0111" n="103"/> <p>Laß mich frey reden! Die Kunſt hat ſo<lb/> lange gedauert, als die Gymnaſien dauerten,<lb/> der Tanz Spartaniſcher, Chiiſcher Jungfrauen,<lb/> ihr Ringen ſelbſt mit den Maͤnnern, oͤffentliche<lb/> Sitte war, und die Prieſterinnen der Liebes-<lb/> goͤttin zu Athen und Korinth Religion feyerten.<lb/> In <hi rendition="#fr">Venedig</hi> iſt von dem letztern noch ein Schat-<lb/> ten; und der Kuͤnſtler hat Jahr aus Jahr ein<lb/> immer eine Menge friſcher neuer Modelle, Au-<lb/> gen und Phantaſie wie Zeuxis zu Girgent zu<lb/> weiden. Deßwegen haben auch keine andre<lb/> Mahler ſolch weiblich Fleiſch wie <hi rendition="#fr">Tizian</hi> und<lb/><hi rendition="#fr">Paul von Verona</hi> hervorgebracht; und der<lb/> Mahlerneſtor lebt an der Grenze von hun-<lb/> dert Jahren, da der goͤttliche Raphael auf<lb/> eigne Koſten ſein junges Leben einbuͤßen<lb/> mußte.</p><lb/> <p>Bey einer gothiſchen Moral kann keine an-<lb/> dre als gothiſche Kunſt ſtatt finden. So lange<lb/> nicht ein Sokrates mit ſeiner Schule am hellen<lb/> <fw place="bottom" type="sig">G 4</fw><fw place="bottom" type="catch">Tag</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [103/0111]
Laß mich frey reden! Die Kunſt hat ſo
lange gedauert, als die Gymnaſien dauerten,
der Tanz Spartaniſcher, Chiiſcher Jungfrauen,
ihr Ringen ſelbſt mit den Maͤnnern, oͤffentliche
Sitte war, und die Prieſterinnen der Liebes-
goͤttin zu Athen und Korinth Religion feyerten.
In Venedig iſt von dem letztern noch ein Schat-
ten; und der Kuͤnſtler hat Jahr aus Jahr ein
immer eine Menge friſcher neuer Modelle, Au-
gen und Phantaſie wie Zeuxis zu Girgent zu
weiden. Deßwegen haben auch keine andre
Mahler ſolch weiblich Fleiſch wie Tizian und
Paul von Verona hervorgebracht; und der
Mahlerneſtor lebt an der Grenze von hun-
dert Jahren, da der goͤttliche Raphael auf
eigne Koſten ſein junges Leben einbuͤßen
mußte.
Bey einer gothiſchen Moral kann keine an-
dre als gothiſche Kunſt ſtatt finden. So lange
nicht ein Sokrates mit ſeiner Schule am hellen
Tag
G 4
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/heinse_ardinghello02_1787 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/heinse_ardinghello02_1787/111 |
Zitationshilfe: | [Heinse, Wilhelm]: Ardinghello und die glückseeligen Inseln. Bd. 2. Lemgo, 1787, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heinse_ardinghello02_1787/111>, abgerufen am 16.02.2025. |