Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Heinse, Wilhelm]: Ardinghello und die glückseeligen Inseln. Bd. 1. Lemgo, 1787.

Bild:
<< vorherige Seite

warum von freyen Stücken sich eins auf den Na-
cken legen, das ihm nicht gefällt?"

"Ein Umstand allein verändert oft das Gan-
ze. Bey den Griechen und Römern zum Bey-
spiel war ein Tempel meistens nur für Einen
ihrer vielen Götter; eine unendliche Wohnung
für denselben abgepaßt gewisser maßen, wann er
vom Olymp hernieder in die Gegend kam, wie
ein König aus seiner Residenz in ein Schloß
einer seiner Provinzen."

"Die Form desselben war also nicht groß,
und die Säulengänge behielten die Schönheit
menschlicher Proporzion; welche verschwindet,
wenn sie ins Ungeheure getrieben werden. Je-
der Bürger opferte entweder einzeln; oder war
allgemeines Fest: so ging der Priester oder die
Priesterin hinein, und das Volk stand innen und
außen herum. Gleiche Bewandniß hat es bey
ihren Orakelsprüchen."

Un-
D 4

warum von freyen Stuͤcken ſich eins auf den Na-
cken legen, das ihm nicht gefaͤllt?“

„Ein Umſtand allein veraͤndert oft das Gan-
ze. Bey den Griechen und Roͤmern zum Bey-
ſpiel war ein Tempel meiſtens nur fuͤr Einen
ihrer vielen Goͤtter; eine unendliche Wohnung
fuͤr denſelben abgepaßt gewiſſer maßen, wann er
vom Olymp hernieder in die Gegend kam, wie
ein Koͤnig aus ſeiner Reſidenz in ein Schloß
einer ſeiner Provinzen.“

„Die Form deſſelben war alſo nicht groß,
und die Saͤulengaͤnge behielten die Schoͤnheit
menſchlicher Proporzion; welche verſchwindet,
wenn ſie ins Ungeheure getrieben werden. Je-
der Buͤrger opferte entweder einzeln; oder war
allgemeines Feſt: ſo ging der Prieſter oder die
Prieſterin hinein, und das Volk ſtand innen und
außen herum. Gleiche Bewandniß hat es bey
ihren Orakelſpruͤchen.“

Un-
D 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0061" n="55"/>
warum von freyen Stu&#x0364;cken &#x017F;ich eins auf den Na-<lb/>
cken legen, das ihm nicht gefa&#x0364;llt?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ein Um&#x017F;tand allein vera&#x0364;ndert oft das Gan-<lb/>
ze. Bey den Griechen und Ro&#x0364;mern zum Bey-<lb/>
&#x017F;piel war ein Tempel mei&#x017F;tens nur fu&#x0364;r Einen<lb/>
ihrer vielen Go&#x0364;tter; eine unendliche Wohnung<lb/>
fu&#x0364;r den&#x017F;elben abgepaßt gewi&#x017F;&#x017F;er maßen, wann er<lb/>
vom Olymp hernieder in die Gegend kam, wie<lb/>
ein Ko&#x0364;nig aus &#x017F;einer Re&#x017F;idenz in ein Schloß<lb/>
einer &#x017F;einer Provinzen.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Die Form de&#x017F;&#x017F;elben war al&#x017F;o nicht groß,<lb/>
und die Sa&#x0364;ulenga&#x0364;nge behielten die Scho&#x0364;nheit<lb/>
men&#x017F;chlicher Proporzion; welche ver&#x017F;chwindet,<lb/>
wenn &#x017F;ie ins Ungeheure getrieben werden. Je-<lb/>
der Bu&#x0364;rger opferte entweder einzeln; oder war<lb/>
allgemeines Fe&#x017F;t: &#x017F;o ging der Prie&#x017F;ter oder die<lb/>
Prie&#x017F;terin hinein, und das Volk &#x017F;tand innen und<lb/>
außen herum. Gleiche Bewandniß hat es bey<lb/>
ihren Orakel&#x017F;pru&#x0364;chen.&#x201C;</p><lb/>
        <fw place="bottom" type="sig">D 4</fw>
        <fw place="bottom" type="catch">Un-</fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[55/0061] warum von freyen Stuͤcken ſich eins auf den Na- cken legen, das ihm nicht gefaͤllt?“ „Ein Umſtand allein veraͤndert oft das Gan- ze. Bey den Griechen und Roͤmern zum Bey- ſpiel war ein Tempel meiſtens nur fuͤr Einen ihrer vielen Goͤtter; eine unendliche Wohnung fuͤr denſelben abgepaßt gewiſſer maßen, wann er vom Olymp hernieder in die Gegend kam, wie ein Koͤnig aus ſeiner Reſidenz in ein Schloß einer ſeiner Provinzen.“ „Die Form deſſelben war alſo nicht groß, und die Saͤulengaͤnge behielten die Schoͤnheit menſchlicher Proporzion; welche verſchwindet, wenn ſie ins Ungeheure getrieben werden. Je- der Buͤrger opferte entweder einzeln; oder war allgemeines Feſt: ſo ging der Prieſter oder die Prieſterin hinein, und das Volk ſtand innen und außen herum. Gleiche Bewandniß hat es bey ihren Orakelſpruͤchen.“ Un- D 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/heinse_ardinghello01_1787
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/heinse_ardinghello01_1787/61
Zitationshilfe: [Heinse, Wilhelm]: Ardinghello und die glückseeligen Inseln. Bd. 1. Lemgo, 1787, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heinse_ardinghello01_1787/61>, abgerufen am 25.11.2024.