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[Heinse, Wilhelm]: Ardinghello und die glückseeligen Inseln. Bd. 1. Lemgo, 1787.

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nicht wußten, was sie anfangen sollten. Plu-
tarch
fragt ehrlich in seinem Perikles: "welcher
gutartige Jüngling wird Phidias oder Polyklet
seyn wollen wegen des olympischen Jupiters oder
der Juno zu Argos?" und so setzt der verständige
Horaz eine Ode von Pindar über hundert Sta-
tuen; und die aufgeheitertsten Kaiser zu Rom,
Antonin und Mark Aurel, waren wirklich
schon des steinernen Volkes satt: und so ist das
steinerne und gemahlte Volk bey den heutigen
Römern bloßer Prunk, und man sieht es den
besten an, daß auch sie dessen von Herzen satt
sind. Die Natur übt ihr Recht aus, und zeigt
ihnen mit Gewalt, daß es doch nur eitel Träu-
merey ist."

"Die beste Kunst ist ein bloßes Denkmal ver-
floßnen Genusses oder Leidens für den Künstler
selbst, das ihm lediglich Anlaß giebt, sich das
Ganze wieder vorzustellen, und in sein Gedächt-
niß zurück zu rufen. Welch ein Abstand von

Poe-

nicht wußten, was ſie anfangen ſollten. Plu-
tarch
fragt ehrlich in ſeinem Perikles: „welcher
gutartige Juͤngling wird Phidias oder Polyklet
ſeyn wollen wegen des olympiſchen Jupiters oder
der Juno zu Argos?“ und ſo ſetzt der verſtaͤndige
Horaz eine Ode von Pindar uͤber hundert Sta-
tuen; und die aufgeheitertſten Kaiſer zu Rom,
Antonin und Mark Aurel, waren wirklich
ſchon des ſteinernen Volkes ſatt: und ſo iſt das
ſteinerne und gemahlte Volk bey den heutigen
Roͤmern bloßer Prunk, und man ſieht es den
beſten an, daß auch ſie deſſen von Herzen ſatt
ſind. Die Natur uͤbt ihr Recht aus, und zeigt
ihnen mit Gewalt, daß es doch nur eitel Traͤu-
merey iſt.“

„Die beſte Kunſt iſt ein bloßes Denkmal ver-
floßnen Genuſſes oder Leidens fuͤr den Kuͤnſtler
ſelbſt, das ihm lediglich Anlaß giebt, ſich das
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niß zuruͤck zu rufen. Welch ein Abſtand von

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[380/0386] nicht wußten, was ſie anfangen ſollten. Plu- tarch fragt ehrlich in ſeinem Perikles: „welcher gutartige Juͤngling wird Phidias oder Polyklet ſeyn wollen wegen des olympiſchen Jupiters oder der Juno zu Argos?“ und ſo ſetzt der verſtaͤndige Horaz eine Ode von Pindar uͤber hundert Sta- tuen; und die aufgeheitertſten Kaiſer zu Rom, Antonin und Mark Aurel, waren wirklich ſchon des ſteinernen Volkes ſatt: und ſo iſt das ſteinerne und gemahlte Volk bey den heutigen Roͤmern bloßer Prunk, und man ſieht es den beſten an, daß auch ſie deſſen von Herzen ſatt ſind. Die Natur uͤbt ihr Recht aus, und zeigt ihnen mit Gewalt, daß es doch nur eitel Traͤu- merey iſt.“ „Die beſte Kunſt iſt ein bloßes Denkmal ver- floßnen Genuſſes oder Leidens fuͤr den Kuͤnſtler ſelbſt, das ihm lediglich Anlaß giebt, ſich das Ganze wieder vorzuſtellen, und in ſein Gedaͤcht- niß zuruͤck zu rufen. Welch ein Abſtand von Poe-

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Zitationshilfe: [Heinse, Wilhelm]: Ardinghello und die glückseeligen Inseln. Bd. 1. Lemgo, 1787, S. 380. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heinse_ardinghello01_1787/386>, abgerufen am 22.11.2024.