lang zum Tantalus. Das schönste Bild, seys auch eine Venus vom Praxiteles, wird endlich ein Schatten ohne Saft und Kraft, es regt und bewegt sich nicht, und verwandelt sich nach und nach wieder in den todten Stein, oder Oel und Farbe, woraus es gemacht war; und für den lebendigsten Menschen am geschwindesten. Ich glaube, daß, wenn die goldnen Zeiten der Griechen länger gedauert hät- ten, sie endlich alle Statuen würden ins Meer ge- worfen haben, um des unerträglich Todten, Unbeweglichen einmal ledig zu werden. Und wir finden auch nicht, daß Themistokles, Plato und Euripides und die andern großen Griechen der ersten Zeiten sich schon viel darum beküm- mert hätten: die Bildsäulen gingen immer die Religion und das gemeine Volk an. Alkibiades schlug so gar vor Ueberdruß einer Menge öffent- licher Hermen die Nasen entzwey; und hernach gehörten sie mit den Gemählden zum Luxus der Rei- chen, die vor ihrer gewöhnlichen Langenweile
nicht
lang zum Tantalus. Das ſchoͤnſte Bild, ſeys auch eine Venus vom Praxiteles, wird endlich ein Schatten ohne Saft und Kraft, es regt und bewegt ſich nicht, und verwandelt ſich nach und nach wieder in den todten Stein, oder Oel und Farbe, woraus es gemacht war; und fuͤr den lebendigſten Menſchen am geſchwindeſten. Ich glaube, daß, wenn die goldnen Zeiten der Griechen laͤnger gedauert haͤt- ten, ſie endlich alle Statuen wuͤrden ins Meer ge- worfen haben, um des unertraͤglich Todten, Unbeweglichen einmal ledig zu werden. Und wir finden auch nicht, daß Themiſtokles, Plato und Euripides und die andern großen Griechen der erſten Zeiten ſich ſchon viel darum bekuͤm- mert haͤtten: die Bildſaͤulen gingen immer die Religion und das gemeine Volk an. Alkibiades ſchlug ſo gar vor Ueberdruß einer Menge oͤffent- licher Hermen die Naſen entzwey; und hernach gehoͤrten ſie mit den Gemaͤhlden zum Luxus der Rei- chen, die vor ihrer gewoͤhnlichen Langenweile
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lang zum Tantalus. Das ſchoͤnſte Bild, ſeys
auch eine Venus vom Praxiteles, wird endlich
ein Schatten ohne Saft und Kraft, es regt und
bewegt ſich nicht, und verwandelt ſich nach und nach
wieder in den todten Stein, oder Oel und Farbe,
woraus es gemacht war; und fuͤr den lebendigſten
Menſchen am geſchwindeſten. Ich glaube, daß, wenn
die goldnen Zeiten der Griechen laͤnger gedauert haͤt-
ten, ſie endlich alle Statuen wuͤrden ins Meer ge-
worfen haben, um des unertraͤglich Todten,
Unbeweglichen einmal ledig zu werden. Und
wir finden auch nicht, daß Themiſtokles, Plato
und Euripides und die andern großen Griechen
der erſten Zeiten ſich ſchon viel darum bekuͤm-
mert haͤtten: die Bildſaͤulen gingen immer die
Religion und das gemeine Volk an. Alkibiades
ſchlug ſo gar vor Ueberdruß einer Menge oͤffent-
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[Heinse, Wilhelm]: Ardinghello und die glückseeligen Inseln. Bd. 1. Lemgo, 1787, S. 379. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heinse_ardinghello01_1787/385>, abgerufen am 22.11.2024.
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