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[Heinse, Wilhelm]: Ardinghello und die glückseeligen Inseln. Bd. 1. Lemgo, 1787.

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"Kurz, ich habe von dem Menschen, au-
ßer der wirklichen Vermischung, hauptsächlich
Genuß durch seine Reden und Handlungen, durch
Worte und Bewegungen; beydes kann mir die
bildende Kunst nicht geben. Man stelle sich seinen
Freund auch in dem interessantesten Moment
der Freundschaft auf einmal wie zu einer Büste
versteinert unveränderlich mit seinen Mienen
und Gebehrden vor! mit Erinnerung der Worte
aller vor und nach dem Moment wird das Bild
gewiß lieblich in die Seele leuchten, und anfangs
einen Freudenschauer erregen. Aber wie die Er-
innerung sich schwächt, wird es nach und nach im-
mer weniger bedeuten, und, bey den Gedanken
an hundert andre Scenen, endlich leer, und so gar
Spott werden: statt daß nur ein herzlicher Brief
von demselben immer neu die Seele erquickt,
so oft man ihn nöthig hat, wieder durch zu lesen.
Was soll nun so ein Bild auf andre für Wirkung
machen, die sich dabey platterdings nichts gewis-
ses vorstellen können? die die Person nicht ken-

ken-

„Kurz, ich habe von dem Menſchen, au-
ßer der wirklichen Vermiſchung, hauptſaͤchlich
Genuß durch ſeine Reden und Handlungen, durch
Worte und Bewegungen; beydes kann mir die
bildende Kunſt nicht geben. Man ſtelle ſich ſeinen
Freund auch in dem intereſſanteſten Moment
der Freundſchaft auf einmal wie zu einer Buͤſte
verſteinert unveraͤnderlich mit ſeinen Mienen
und Gebehrden vor! mit Erinnerung der Worte
aller vor und nach dem Moment wird das Bild
gewiß lieblich in die Seele leuchten, und anfangs
einen Freudenſchauer erregen. Aber wie die Er-
innerung ſich ſchwaͤcht, wird es nach und nach im-
mer weniger bedeuten, und, bey den Gedanken
an hundert andre Scenen, endlich leer, und ſo gar
Spott werden: ſtatt daß nur ein herzlicher Brief
von demſelben immer neu die Seele erquickt,
ſo oft man ihn noͤthig hat, wieder durch zu leſen.
Was ſoll nun ſo ein Bild auf andre fuͤr Wirkung
machen, die ſich dabey platterdings nichts gewiſ-
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[376/0382] „Kurz, ich habe von dem Menſchen, au- ßer der wirklichen Vermiſchung, hauptſaͤchlich Genuß durch ſeine Reden und Handlungen, durch Worte und Bewegungen; beydes kann mir die bildende Kunſt nicht geben. Man ſtelle ſich ſeinen Freund auch in dem intereſſanteſten Moment der Freundſchaft auf einmal wie zu einer Buͤſte verſteinert unveraͤnderlich mit ſeinen Mienen und Gebehrden vor! mit Erinnerung der Worte aller vor und nach dem Moment wird das Bild gewiß lieblich in die Seele leuchten, und anfangs einen Freudenſchauer erregen. Aber wie die Er- innerung ſich ſchwaͤcht, wird es nach und nach im- mer weniger bedeuten, und, bey den Gedanken an hundert andre Scenen, endlich leer, und ſo gar Spott werden: ſtatt daß nur ein herzlicher Brief von demſelben immer neu die Seele erquickt, ſo oft man ihn noͤthig hat, wieder durch zu leſen. Was ſoll nun ſo ein Bild auf andre fuͤr Wirkung machen, die ſich dabey platterdings nichts gewiſ- ſes vorſtellen koͤnnen? die die Perſon nicht ken- ken-

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Zitationshilfe: [Heinse, Wilhelm]: Ardinghello und die glückseeligen Inseln. Bd. 1. Lemgo, 1787, S. 376. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heinse_ardinghello01_1787/382>, abgerufen am 22.11.2024.