abziehen. Die entzückendste Handlung für den Betrachtenden hierbey ist freylich, wo gerad ein Körper den andern genießt: Kuß, Umar- mung --"
"Nach diesen Grundsätzen arbeiteten die Alten: nicht, wie einige Antiquaren sagen, weil die Stille der eigentlichste Zustand der Schön- heit wäre, wie bey der See; und die schönsten Menschen überhaupt von gesittetem Wesen zu seyn pflegten. Das Meer ist im Gegentheil natürlich immer in Bewegung, und gewiß schö- ner im Sturm als in der Stille; und Alkibiades, und Phryne, und Thais, welche Persopolis in Brand steckte, die schönsten Menschen unter den Griechen, sind warlich nicht berühmt wegen ih- res stillen gesitteten Wesens; und Clodius nicht, und die Faustinen, und die größten Schönheiten. Es sind die Schranken der Kunst! sie kann das hohe Leben, schnelle Bewegung selten darstellen; und es ist wunderlich, dieß deßwegen mit Verach-
tung
abziehen. Die entzuͤckendſte Handlung fuͤr den Betrachtenden hierbey iſt freylich, wo gerad ein Koͤrper den andern genießt: Kuß, Umar- mung —“
“Nach dieſen Grundſaͤtzen arbeiteten die Alten: nicht, wie einige Antiquaren ſagen, weil die Stille der eigentlichſte Zuſtand der Schoͤn- heit waͤre, wie bey der See; und die ſchoͤnſten Menſchen uͤberhaupt von geſittetem Weſen zu ſeyn pflegten. Das Meer iſt im Gegentheil natuͤrlich immer in Bewegung, und gewiß ſchoͤ- ner im Sturm als in der Stille; und Alkibiades, und Phryne, und Thais, welche Perſopolis in Brand ſteckte, die ſchoͤnſten Menſchen unter den Griechen, ſind warlich nicht beruͤhmt wegen ih- res ſtillen geſitteten Weſens; und Clodius nicht, und die Fauſtinen, und die groͤßten Schoͤnheiten. Es ſind die Schranken der Kunſt! ſie kann das hohe Leben, ſchnelle Bewegung ſelten darſtellen; und es iſt wunderlich, dieß deßwegen mit Verach-
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abziehen. Die entzuͤckendſte Handlung fuͤr den
Betrachtenden hierbey iſt freylich, wo gerad ein
Koͤrper den andern genießt: Kuß, Umar-
mung —“
“Nach dieſen Grundſaͤtzen arbeiteten die
Alten: nicht, wie einige Antiquaren ſagen,
weil die Stille der eigentlichſte Zuſtand der Schoͤn-
heit waͤre, wie bey der See; und die ſchoͤnſten
Menſchen uͤberhaupt von geſittetem Weſen zu
ſeyn pflegten. Das Meer iſt im Gegentheil
natuͤrlich immer in Bewegung, und gewiß ſchoͤ-
ner im Sturm als in der Stille; und Alkibiades,
und Phryne, und Thais, welche Perſopolis in
Brand ſteckte, die ſchoͤnſten Menſchen unter den
Griechen, ſind warlich nicht beruͤhmt wegen ih-
res ſtillen geſitteten Weſens; und Clodius nicht,
und die Fauſtinen, und die groͤßten Schoͤnheiten.
Es ſind die Schranken der Kunſt! ſie kann das
hohe Leben, ſchnelle Bewegung ſelten darſtellen;
und es iſt wunderlich, dieß deßwegen mit Verach-
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[Heinse, Wilhelm]: Ardinghello und die glückseeligen Inseln. Bd. 1. Lemgo, 1787, S. 362. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heinse_ardinghello01_1787/368>, abgerufen am 22.11.2024.
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