geht bey dem Kenner von Kunstfertigem Sinn über alle euer Fratzenwesen von unreifen Ge- sichtszügen, noch so affektirt geworfnen Gewän- dern, und tausenderley nachgeäfftem Kostume. Aber auch im Gegentheil ists nicht genug ge- than, wenn einer einen Haufen nackender Kör- per hervorheckt, die weiter nichts haben, als ihre gehörige Anzahl von Rippen und Knochen, und Muskeln, und Augen, Mäulern, Nasen, Ohren."
"Mit einem Worte, die Schönheit nacken- der Gestalt ist der Triumph bildender Kunst; viel für Auge und den ganzen körperlichen Men- schen, wenig für den innern. Sie allein er- greift das Unsterbliche nicht; dazu gehört etwas, was selbst gleich wie unmittelbar von der Seele kömmt, und ihrer regenden unbegreiflichen Kraft: Leben, Bewegung. Und dieß haben unter al- len Künsten allein Musik und Poesie: neigt euch ihr andern Schwestern vor diesen Musen."
Ich
Z 2
geht bey dem Kenner von Kunſtfertigem Sinn uͤber alle euer Fratzenweſen von unreifen Ge- ſichtszuͤgen, noch ſo affektirt geworfnen Gewaͤn- dern, und tauſenderley nachgeaͤfftem Koſtume. Aber auch im Gegentheil iſts nicht genug ge- than, wenn einer einen Haufen nackender Koͤr- per hervorheckt, die weiter nichts haben, als ihre gehoͤrige Anzahl von Rippen und Knochen, und Muskeln, und Augen, Maͤulern, Naſen, Ohren.“
„Mit einem Worte, die Schoͤnheit nacken- der Geſtalt iſt der Triumph bildender Kunſt; viel fuͤr Auge und den ganzen koͤrperlichen Men- ſchen, wenig fuͤr den innern. Sie allein er- greift das Unſterbliche nicht; dazu gehoͤrt etwas, was ſelbſt gleich wie unmittelbar von der Seele koͤmmt, und ihrer regenden unbegreiflichen Kraft: Leben, Bewegung. Und dieß haben unter al- len Kuͤnſten allein Muſik und Poeſie: neigt euch ihr andern Schweſtern vor dieſen Muſen.“
Ich
Z 2
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0361"n="355"/>
geht bey dem Kenner von Kunſtfertigem Sinn<lb/>
uͤber alle euer Fratzenweſen von unreifen Ge-<lb/>ſichtszuͤgen, noch ſo affektirt geworfnen Gewaͤn-<lb/>
dern, und tauſenderley nachgeaͤfftem Koſtume.<lb/>
Aber auch im Gegentheil iſts nicht genug ge-<lb/>
than, wenn einer einen Haufen nackender Koͤr-<lb/>
per hervorheckt, die weiter nichts haben, als<lb/>
ihre gehoͤrige Anzahl von Rippen und Knochen,<lb/>
und Muskeln, und Augen, Maͤulern, Naſen,<lb/>
Ohren.“</p><lb/><p>„Mit einem Worte, die Schoͤnheit nacken-<lb/>
der Geſtalt iſt der Triumph bildender Kunſt;<lb/>
viel fuͤr Auge und den ganzen koͤrperlichen Men-<lb/>ſchen, wenig fuͤr den innern. Sie allein er-<lb/>
greift das Unſterbliche nicht; dazu gehoͤrt etwas,<lb/>
was ſelbſt gleich wie unmittelbar von der Seele<lb/>
koͤmmt, und ihrer regenden unbegreiflichen Kraft:<lb/>
Leben, Bewegung. Und dieß haben unter al-<lb/>
len Kuͤnſten allein Muſik und Poeſie: neigt<lb/>
euch ihr andern Schweſtern vor dieſen Muſen.“</p><lb/><fwplace="bottom"type="sig">Z 2</fw><fwplace="bottom"type="catch">Ich</fw><lb/></div></body></text></TEI>
[355/0361]
geht bey dem Kenner von Kunſtfertigem Sinn
uͤber alle euer Fratzenweſen von unreifen Ge-
ſichtszuͤgen, noch ſo affektirt geworfnen Gewaͤn-
dern, und tauſenderley nachgeaͤfftem Koſtume.
Aber auch im Gegentheil iſts nicht genug ge-
than, wenn einer einen Haufen nackender Koͤr-
per hervorheckt, die weiter nichts haben, als
ihre gehoͤrige Anzahl von Rippen und Knochen,
und Muskeln, und Augen, Maͤulern, Naſen,
Ohren.“
„Mit einem Worte, die Schoͤnheit nacken-
der Geſtalt iſt der Triumph bildender Kunſt;
viel fuͤr Auge und den ganzen koͤrperlichen Men-
ſchen, wenig fuͤr den innern. Sie allein er-
greift das Unſterbliche nicht; dazu gehoͤrt etwas,
was ſelbſt gleich wie unmittelbar von der Seele
koͤmmt, und ihrer regenden unbegreiflichen Kraft:
Leben, Bewegung. Und dieß haben unter al-
len Kuͤnſten allein Muſik und Poeſie: neigt
euch ihr andern Schweſtern vor dieſen Muſen.“
Ich
Z 2
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Heinse, Wilhelm]: Ardinghello und die glückseeligen Inseln. Bd. 1. Lemgo, 1787, S. 355. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heinse_ardinghello01_1787/361>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.