"Der elende Florentinerschmeichler Vasari hat mit dem Dampf von seinem Weyrauchkessel, den er dem alten Kunstdespoten unter der Nase herumschwenkte, damit er durch dessen Empfe- lung etwas zu mahlen bekäme, den Leuten das Gehirn benebelt. Und ist dieß groß im Geiste, wie er die gütige himmlische Seele, den Raphael, verfolgt hat? Weil er selbst sein Unvermögen in der Farbe erkennen mußte: so zeichnete er mit aller seiner Gelehrsamkeit die Umrisse dem Venezianer Bastian, und dieser sollte mit seinem Kolorit den Pfeil vergiften. Aber was kam zum Vorschein in Pietro Montorio? Ein Zwitterding, welches seiner Einsicht warlich wenig Ehre macht, und der Göttliche blieb, wer er war. Raphael hin- gegen, der edle reine Jüngling, der nur die Vollkommenheit der Kunst im Auge hatte, son- der Neid, strebt in Unschuld, das zu dem Sei- nigen noch zu gewinnen, was der weit ältere, der Mann in Rücksicht seiner, Vortrefliches be-
saß;
„Der elende Florentinerſchmeichler Vaſari hat mit dem Dampf von ſeinem Weyrauchkeſſel, den er dem alten Kunſtdespoten unter der Naſe herumſchwenkte, damit er durch deſſen Empfe- lung etwas zu mahlen bekaͤme, den Leuten das Gehirn benebelt. Und iſt dieß groß im Geiſte, wie er die guͤtige himmliſche Seele, den Raphael, verfolgt hat? Weil er ſelbſt ſein Unvermoͤgen in der Farbe erkennen mußte: ſo zeichnete er mit aller ſeiner Gelehrſamkeit die Umriſſe dem Venezianer Baſtian, und dieſer ſollte mit ſeinem Kolorit den Pfeil vergiften. Aber was kam zum Vorſchein in Pietro Montorio? Ein Zwitterding, welches ſeiner Einſicht warlich wenig Ehre macht, und der Goͤttliche blieb, wer er war. Raphael hin- gegen, der edle reine Juͤngling, der nur die Vollkommenheit der Kunſt im Auge hatte, ſon- der Neid, ſtrebt in Unſchuld, das zu dem Sei- nigen noch zu gewinnen, was der weit aͤltere, der Mann in Ruͤckſicht ſeiner, Vortrefliches be-
ſaß;
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„Der elende Florentinerſchmeichler Vaſari
hat mit dem Dampf von ſeinem Weyrauchkeſſel,
den er dem alten Kunſtdespoten unter der Naſe
herumſchwenkte, damit er durch deſſen Empfe-
lung etwas zu mahlen bekaͤme, den Leuten das
Gehirn benebelt. Und iſt dieß groß im Geiſte,
wie er die guͤtige himmliſche Seele, den Raphael,
verfolgt hat? Weil er ſelbſt ſein Unvermoͤgen in
der Farbe erkennen mußte: ſo zeichnete er mit aller
ſeiner Gelehrſamkeit die Umriſſe dem Venezianer
Baſtian, und dieſer ſollte mit ſeinem Kolorit
den Pfeil vergiften. Aber was kam zum Vorſchein
in Pietro Montorio? Ein Zwitterding, welches
ſeiner Einſicht warlich wenig Ehre macht, und
der Goͤttliche blieb, wer er war. Raphael hin-
gegen, der edle reine Juͤngling, der nur die
Vollkommenheit der Kunſt im Auge hatte, ſon-
der Neid, ſtrebt in Unſchuld, das zu dem Sei-
nigen noch zu gewinnen, was der weit aͤltere,
der Mann in Ruͤckſicht ſeiner, Vortrefliches be-
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[Heinse, Wilhelm]: Ardinghello und die glückseeligen Inseln. Bd. 1. Lemgo, 1787, S. 338. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heinse_ardinghello01_1787/344>, abgerufen am 22.11.2024.
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