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[Heinse, Wilhelm]: Ardinghello und die glückseeligen Inseln. Bd. 1. Lemgo, 1787.

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denn eine Weile wegen Geschäften, und wir
blieben allein. Ihre schönen großen Augen ruh-
ten lang hell und klar auf mir, und ihre Lippen
lächelten, wie wenn man einen zum reden zwingen
will. Mich dauerte die Verlaßne, und ich fing an
von dem Gemählde zu sprechen, das eben vor
uns hing; und kaum hatte sie mir den Meister
gesagt, so war die Frage darauf: "wo ist jetzt ihr
Freund Ardinghello? ich hab ihn nicht wieder
gesehen, seit dem er mich gemahlt hat; er wird
also wohl nicht mehr in Venedig seyn."

Ich antwortete: "den letzten Brief von ihm
hab ich aus Genua; es geht ihm dort sehr wohl."
Du hättest sehen sollen, wie sie darauf lebendig
ward, und sich alles an ihr regte; ein neuer
Morgen ihr Gesicht mit heißen Sonnenblicken.
Nicht mehr fest halten konnt ihr Herz: "es ist
ein treflicher Mensch, voll Verstand und Talent
und das geringste ist der Mahler an ihm, so weit
ers auch schon in seiner Kunst gebracht hat."

Hier
R 3

denn eine Weile wegen Geſchaͤften, und wir
blieben allein. Ihre ſchoͤnen großen Augen ruh-
ten lang hell und klar auf mir, und ihre Lippen
laͤchelten, wie wenn man einen zum reden zwingen
will. Mich dauerte die Verlaßne, und ich fing an
von dem Gemaͤhlde zu ſprechen, das eben vor
uns hing; und kaum hatte ſie mir den Meiſter
geſagt, ſo war die Frage darauf: „wo iſt jetzt ihr
Freund Ardinghello? ich hab ihn nicht wieder
geſehen, ſeit dem er mich gemahlt hat; er wird
alſo wohl nicht mehr in Venedig ſeyn.“

Ich antwortete: „den letzten Brief von ihm
hab ich aus Genua; es geht ihm dort ſehr wohl.“
Du haͤtteſt ſehen ſollen, wie ſie darauf lebendig
ward, und ſich alles an ihr regte; ein neuer
Morgen ihr Geſicht mit heißen Sonnenblicken.
Nicht mehr feſt halten konnt ihr Herz: „es iſt
ein treflicher Menſch, voll Verſtand und Talent
und das geringſte iſt der Mahler an ihm, ſo weit
ers auch ſchon in ſeiner Kunſt gebracht hat.“

Hier
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[261/0267] denn eine Weile wegen Geſchaͤften, und wir blieben allein. Ihre ſchoͤnen großen Augen ruh- ten lang hell und klar auf mir, und ihre Lippen laͤchelten, wie wenn man einen zum reden zwingen will. Mich dauerte die Verlaßne, und ich fing an von dem Gemaͤhlde zu ſprechen, das eben vor uns hing; und kaum hatte ſie mir den Meiſter geſagt, ſo war die Frage darauf: „wo iſt jetzt ihr Freund Ardinghello? ich hab ihn nicht wieder geſehen, ſeit dem er mich gemahlt hat; er wird alſo wohl nicht mehr in Venedig ſeyn.“ Ich antwortete: „den letzten Brief von ihm hab ich aus Genua; es geht ihm dort ſehr wohl.“ Du haͤtteſt ſehen ſollen, wie ſie darauf lebendig ward, und ſich alles an ihr regte; ein neuer Morgen ihr Geſicht mit heißen Sonnenblicken. Nicht mehr feſt halten konnt ihr Herz: „es iſt ein treflicher Menſch, voll Verſtand und Talent und das geringſte iſt der Mahler an ihm, ſo weit ers auch ſchon in ſeiner Kunſt gebracht hat.“ Hier R 3

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Zitationshilfe: [Heinse, Wilhelm]: Ardinghello und die glückseeligen Inseln. Bd. 1. Lemgo, 1787, S. 261. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heinse_ardinghello01_1787/267>, abgerufen am 25.11.2024.