Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Heinse, Wilhelm]: Ardinghello und die glückseeligen Inseln. Bd. 1. Lemgo, 1787.

Bild:
<< vorherige Seite

den nicht mehr im Stande war, von den Schaa-
ren umzingelt, sich durchzukämpfen. Sie kennen
ihn dort, wie die Reiger den schnellen gewand-
ten Falken; und werden ihn nicht loslassen.
Er dient als Sklave beym Großvezier selbst; ich
hab ihn gesprochen, und ein Briefchen von ihm
seiner traurigen Geliebten hier überbracht; wor-
in er sie beschwört, ihn zu vergessen, und einen
glücklichern zu wählen, wenn er noch ein Jahr
lang ausbleibt."

Diese Nachricht wühlte mir das Herz auf,
und Florio dauerte mich; ich seufzte heftig be-
wegt, und im Gesichte glühend: armer Schelm!

Der Alte fuhr fort: "wenn du ihn sähest,
mein Sohn, du würdest ihn lieben; er ist ein
gar guter junger Mann bey so viel rauher Ta-
pferkeit. Wie oft haben wir vor wenigen Jah-
ren zusammengesessen, und einander erzehlt!
Wenn ich ihm vom Kaukasus und Atlas sprach:
so beschrieb er mir, wie viel höher die Gebirge von

Ame-
Q 2

den nicht mehr im Stande war, von den Schaa-
ren umzingelt, ſich durchzukaͤmpfen. Sie kennen
ihn dort, wie die Reiger den ſchnellen gewand-
ten Falken; und werden ihn nicht loslaſſen.
Er dient als Sklave beym Großvezier ſelbſt; ich
hab ihn geſprochen, und ein Briefchen von ihm
ſeiner traurigen Geliebten hier uͤberbracht; wor-
in er ſie beſchwoͤrt, ihn zu vergeſſen, und einen
gluͤcklichern zu waͤhlen, wenn er noch ein Jahr
lang ausbleibt.“

Dieſe Nachricht wuͤhlte mir das Herz auf,
und Florio dauerte mich; ich ſeufzte heftig be-
wegt, und im Geſichte gluͤhend: armer Schelm!

Der Alte fuhr fort: „wenn du ihn ſaͤheſt,
mein Sohn, du wuͤrdeſt ihn lieben; er iſt ein
gar guter junger Mann bey ſo viel rauher Ta-
pferkeit. Wie oft haben wir vor wenigen Jah-
ren zuſammengeſeſſen, und einander erzehlt!
Wenn ich ihm vom Kaukaſus und Atlas ſprach:
ſo beſchrieb er mir, wie viel hoͤher die Gebirge von

Ame-
Q 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0249" n="243"/>
den nicht mehr im Stande war, von den Schaa-<lb/>
ren umzingelt, &#x017F;ich durchzuka&#x0364;mpfen. Sie kennen<lb/>
ihn dort, wie die Reiger den &#x017F;chnellen gewand-<lb/>
ten Falken; und werden ihn nicht losla&#x017F;&#x017F;en.<lb/>
Er dient als Sklave beym Großvezier &#x017F;elb&#x017F;t; ich<lb/>
hab ihn ge&#x017F;prochen, und ein Briefchen von ihm<lb/>
&#x017F;einer traurigen Geliebten hier u&#x0364;berbracht; wor-<lb/>
in er &#x017F;ie be&#x017F;chwo&#x0364;rt, ihn zu verge&#x017F;&#x017F;en, und einen<lb/>
glu&#x0364;cklichern zu wa&#x0364;hlen, wenn er noch ein Jahr<lb/>
lang ausbleibt.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Die&#x017F;e Nachricht wu&#x0364;hlte mir das Herz auf,<lb/>
und Florio dauerte mich; ich &#x017F;eufzte heftig be-<lb/>
wegt, und im Ge&#x017F;ichte glu&#x0364;hend: armer Schelm!</p><lb/>
        <p>Der Alte fuhr fort: &#x201E;wenn du ihn &#x017F;a&#x0364;he&#x017F;t,<lb/>
mein Sohn, du wu&#x0364;rde&#x017F;t ihn lieben; er i&#x017F;t ein<lb/>
gar guter junger Mann bey &#x017F;o viel rauher Ta-<lb/>
pferkeit. Wie oft haben wir vor wenigen Jah-<lb/>
ren zu&#x017F;ammenge&#x017F;e&#x017F;&#x017F;en, und einander erzehlt!<lb/>
Wenn ich ihm vom Kauka&#x017F;us und Atlas &#x017F;prach:<lb/>
&#x017F;o be&#x017F;chrieb er mir, wie viel ho&#x0364;her die Gebirge von<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Q 2</fw><fw place="bottom" type="catch">Ame-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[243/0249] den nicht mehr im Stande war, von den Schaa- ren umzingelt, ſich durchzukaͤmpfen. Sie kennen ihn dort, wie die Reiger den ſchnellen gewand- ten Falken; und werden ihn nicht loslaſſen. Er dient als Sklave beym Großvezier ſelbſt; ich hab ihn geſprochen, und ein Briefchen von ihm ſeiner traurigen Geliebten hier uͤberbracht; wor- in er ſie beſchwoͤrt, ihn zu vergeſſen, und einen gluͤcklichern zu waͤhlen, wenn er noch ein Jahr lang ausbleibt.“ Dieſe Nachricht wuͤhlte mir das Herz auf, und Florio dauerte mich; ich ſeufzte heftig be- wegt, und im Geſichte gluͤhend: armer Schelm! Der Alte fuhr fort: „wenn du ihn ſaͤheſt, mein Sohn, du wuͤrdeſt ihn lieben; er iſt ein gar guter junger Mann bey ſo viel rauher Ta- pferkeit. Wie oft haben wir vor wenigen Jah- ren zuſammengeſeſſen, und einander erzehlt! Wenn ich ihm vom Kaukaſus und Atlas ſprach: ſo beſchrieb er mir, wie viel hoͤher die Gebirge von Ame- Q 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/heinse_ardinghello01_1787
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/heinse_ardinghello01_1787/249
Zitationshilfe: [Heinse, Wilhelm]: Ardinghello und die glückseeligen Inseln. Bd. 1. Lemgo, 1787, S. 243. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heinse_ardinghello01_1787/249>, abgerufen am 22.11.2024.