"O Ardinghello! Ardinghello! weinte sie, verlaß mich! o verlaß mich!"
"Göttliche, und warum? Warum können zwey Menschen, wie wir sind, nicht ohne Sünde so beysammen seyn! Warum immer eine Scheidewand von Mauer und Kleidung und me- chanischer Gesellschaft dazwischen! Bedenke, wie die Seeligen im Himmel sind, und unsre erste Eltern waren. Alles dieß dient nur, wenn man unter dem großen Haufen ist."
"Und was willst du von mir? was kann ich für dich thun, ohne mich unglücklich zu ma- chen?" versetzte sie etwas ruhiger, sich rundum einhüllend.
"Sage mir, wen du liebst? fuhr ich fort; denn daß du liebst, das weiß ich, und weiß noch, daß du unglücklich geliebt hast."
"Ach, antwortete sie darauf, nach einigem Stillschweigen, den Hauptmann einer Galeere! der mich, wie ich noch ein kleines Kind zu Nizza
war,
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„O Ardinghello! Ardinghello! weinte ſie, verlaß mich! o verlaß mich!“
„Goͤttliche, und warum? Warum koͤnnen zwey Menſchen, wie wir ſind, nicht ohne Suͤnde ſo beyſammen ſeyn! Warum immer eine Scheidewand von Mauer und Kleidung und me- chaniſcher Geſellſchaft dazwiſchen! Bedenke, wie die Seeligen im Himmel ſind, und unſre erſte Eltern waren. Alles dieß dient nur, wenn man unter dem großen Haufen iſt.“
„Und was willſt du von mir? was kann ich fuͤr dich thun, ohne mich ungluͤcklich zu ma- chen?“ verſetzte ſie etwas ruhiger, ſich rundum einhuͤllend.
„Sage mir, wen du liebſt? fuhr ich fort; denn daß du liebſt, das weiß ich, und weiß noch, daß du ungluͤcklich geliebt haſt.“
„Ach, antwortete ſie darauf, nach einigem Stillſchweigen, den Hauptmann einer Galeere! der mich, wie ich noch ein kleines Kind zu Nizza
war,
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„O Ardinghello! Ardinghello! weinte ſie,
verlaß mich! o verlaß mich!“
„Goͤttliche, und warum? Warum koͤnnen
zwey Menſchen, wie wir ſind, nicht ohne
Suͤnde ſo beyſammen ſeyn! Warum immer eine
Scheidewand von Mauer und Kleidung und me-
chaniſcher Geſellſchaft dazwiſchen! Bedenke,
wie die Seeligen im Himmel ſind, und unſre
erſte Eltern waren. Alles dieß dient nur, wenn
man unter dem großen Haufen iſt.“
„Und was willſt du von mir? was kann
ich fuͤr dich thun, ohne mich ungluͤcklich zu ma-
chen?“ verſetzte ſie etwas ruhiger, ſich rundum
einhuͤllend.
„Sage mir, wen du liebſt? fuhr ich fort;
denn daß du liebſt, das weiß ich, und weiß noch,
daß du ungluͤcklich geliebt haſt.“
„Ach, antwortete ſie darauf, nach einigem
Stillſchweigen, den Hauptmann einer Galeere!
der mich, wie ich noch ein kleines Kind zu Nizza
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[Heinse, Wilhelm]: Ardinghello und die glückseeligen Inseln. Bd. 1. Lemgo, 1787, S. 227. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heinse_ardinghello01_1787/233>, abgerufen am 24.11.2024.
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