"Wahr! versetzte ein andrer, der deutlichen hellen und volltönigen Aussprache nach, ein Rö- mer; aber der Geschmack kömmt nicht von selbst. Man muß erst wissen, was Kunst ist, und den Vorrath der Kunstwerke mit Naturerfahrnem Sinn geprüft haben: sonst geht der Prozession mit der Madonna von Zimabur hinter drein, und bejubelt sie als das non plus ultra. Die Leute glauben, es wäre nicht möglich etwas bessers zu machen, weil sie nichts bessers gesehen haben; und denken, wie ihnen zu Muthe wäre, wenn sie den Pinsel in die Hand nehmen sollten. Daher alle die albernen Urtheile von sonst sehr gescheidten und gelehrten Männern über die Künstler der vo- rigen Zeit; sie schwatzten gleich vom Zeuxis und Apel- les, weil sie platterdings von diesen Namen keinen sinlichen Begriff hatten. Und so wirds bey den Ausländern, wo die Kunst anfängt, und die Meisterstücke nicht vorhanden sind, mit euch und Titian und Raphael ergehen; ihr werdet eben so gemißbraucht werden".
"Und
„Wahr! verſetzte ein andrer, der deutlichen hellen und volltoͤnigen Ausſprache nach, ein Roͤ- mer; aber der Geſchmack koͤmmt nicht von ſelbſt. Man muß erſt wiſſen, was Kunſt iſt, und den Vorrath der Kunſtwerke mit Naturerfahrnem Sinn gepruͤft haben: ſonſt geht der Prozeſſion mit der Madonna von Zimabur hinter drein, und bejubelt ſie als das non plus ultra. Die Leute glauben, es waͤre nicht moͤglich etwas beſſers zu machen, weil ſie nichts beſſers geſehen haben; und denken, wie ihnen zu Muthe waͤre, wenn ſie den Pinſel in die Hand nehmen ſollten. Daher alle die albernen Urtheile von ſonſt ſehr geſcheidten und gelehrten Maͤnnern uͤber die Kuͤnſtler der vo- rigen Zeit; ſie ſchwatzten gleich vom Zeuxis und Apel- les, weil ſie platterdings von dieſen Namen keinen ſinlichen Begriff hatten. Und ſo wirds bey den Auslaͤndern, wo die Kunſt anfaͤngt, und die Meiſterſtuͤcke nicht vorhanden ſind, mit euch und Titian und Raphael ergehen; ihr werdet eben ſo gemißbraucht werden“.
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„Wahr! verſetzte ein andrer, der deutlichen
hellen und volltoͤnigen Ausſprache nach, ein Roͤ-
mer; aber der Geſchmack koͤmmt nicht von ſelbſt.
Man muß erſt wiſſen, was Kunſt iſt, und den
Vorrath der Kunſtwerke mit Naturerfahrnem
Sinn gepruͤft haben: ſonſt geht der Prozeſſion
mit der Madonna von Zimabur hinter drein,
und bejubelt ſie als das non plus ultra. Die Leute
glauben, es waͤre nicht moͤglich etwas beſſers zu
machen, weil ſie nichts beſſers geſehen haben;
und denken, wie ihnen zu Muthe waͤre, wenn ſie
den Pinſel in die Hand nehmen ſollten. Daher
alle die albernen Urtheile von ſonſt ſehr geſcheidten
und gelehrten Maͤnnern uͤber die Kuͤnſtler der vo-
rigen Zeit; ſie ſchwatzten gleich vom Zeuxis und Apel-
les, weil ſie platterdings von dieſen Namen
keinen ſinlichen Begriff hatten. Und ſo wirds
bey den Auslaͤndern, wo die Kunſt anfaͤngt,
und die Meiſterſtuͤcke nicht vorhanden ſind, mit
euch und Titian und Raphael ergehen; ihr werdet
eben ſo gemißbraucht werden“.
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[Heinse, Wilhelm]: Ardinghello und die glückseeligen Inseln. Bd. 1. Lemgo, 1787, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heinse_ardinghello01_1787/20>, abgerufen am 21.11.2024.
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