der zwar nie ein schöpferisches Werk hervorge- bracht hat, aber voll Kenntniß und Geschmack war, bey allen seinen Vorurtheilen. Der alte Schwätzer blies wie ein Boreas mit vollen Ba- cken in meinen Enthusia[s]mus. Mein Vater, des- sen Augapfel ich war, ließ mir zwar nach seiner Jovialität, und nach Georgens Verheißungen, daß ich ein Licht werden würde, alles zu verdun- keln, freyen Willen: doch bracht er mich noch kurz vor seiner Gefangenschaft und Flucht zu verschied- nen philosophischen Köpfen, in deren Umgang ich nach und nach mich zu einer andern Richtung lenkte. Meine erste Neigung behielt aber immer die Oberhand.
Ich glaube, die Hauptregel bey der Erzie- hung sey, den Kindern Zeit zu lassen, sich selbst zu bilden. Das beste, was man thun kann, ist, daß man die Triebe schärft und reizt, ein Vor- treflicher Mensch zu werden, und ihnen die eigne Arbeit so viel wie möglich dabey erleichtert. Alle
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der zwar nie ein ſchoͤpferiſches Werk hervorge- bracht hat, aber voll Kenntniß und Geſchmack war, bey allen ſeinen Vorurtheilen. Der alte Schwaͤtzer blies wie ein Boreas mit vollen Ba- cken in meinen Enthuſia[s]mus. Mein Vater, deſ- ſen Augapfel ich war, ließ mir zwar nach ſeiner Jovialitaͤt, und nach Georgens Verheißungen, daß ich ein Licht werden wuͤrde, alles zu verdun- keln, freyen Willen: doch bracht er mich noch kurz vor ſeiner Gefangenſchaft und Flucht zu verſchied- nen philoſophiſchen Koͤpfen, in deren Umgang ich nach und nach mich zu einer andern Richtung lenkte. Meine erſte Neigung behielt aber immer die Oberhand.
Ich glaube, die Hauptregel bey der Erzie- hung ſey, den Kindern Zeit zu laſſen, ſich ſelbſt zu bilden. Das beſte, was man thun kann, iſt, daß man die Triebe ſchaͤrft und reizt, ein Vor- treflicher Menſch zu werden, und ihnen die eigne Arbeit ſo viel wie moͤglich dabey erleichtert. Alle
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[109/0115]
der zwar nie ein ſchoͤpferiſches Werk hervorge-
bracht hat, aber voll Kenntniß und Geſchmack
war, bey allen ſeinen Vorurtheilen. Der alte
Schwaͤtzer blies wie ein Boreas mit vollen Ba-
cken in meinen Enthuſiasmus. Mein Vater, deſ-
ſen Augapfel ich war, ließ mir zwar nach ſeiner
Jovialitaͤt, und nach Georgens Verheißungen,
daß ich ein Licht werden wuͤrde, alles zu verdun-
keln, freyen Willen: doch bracht er mich noch kurz
vor ſeiner Gefangenſchaft und Flucht zu verſchied-
nen philoſophiſchen Koͤpfen, in deren Umgang
ich nach und nach mich zu einer andern Richtung
lenkte. Meine erſte Neigung behielt aber immer
die Oberhand.
Ich glaube, die Hauptregel bey der Erzie-
hung ſey, den Kindern Zeit zu laſſen, ſich ſelbſt
zu bilden. Das beſte, was man thun kann, iſt,
daß man die Triebe ſchaͤrft und reizt, ein Vor-
treflicher Menſch zu werden, und ihnen die eigne
Arbeit ſo viel wie moͤglich dabey erleichtert. Alle
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[Heinse, Wilhelm]: Ardinghello und die glückseeligen Inseln. Bd. 1. Lemgo, 1787, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heinse_ardinghello01_1787/115>, abgerufen am 24.11.2024.
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