Heine, Heinrich: [Rezension:] Die deutsche Literatur von Wolfgang Menzel. 2 Theile. Stuttgart, bei Gebrüder Frankh. 1828. In: Neue allgemeine politische Annalen, Band 27, Heft 3 (1828), S. 284–298.Wird Kunst und Alterthum im Stande seyn, Natur Wir können nicht umhin, ausdrücklich zu bemerken, daß H. Heine. Wird Kunſt und Alterthum im Stande ſeyn, Natur Wir können nicht umhin, ausdrücklich zu bemerken, daß H. Heine. <TEI> <text> <body> <div> <pb facs="#f0016" n="298"/> <p>Wird Kunſt und Alterthum im Stande ſeyn, Natur<lb/> und Jugend zurückzudrängen?</p><lb/> <p>Wir können nicht umhin, ausdrücklich zu bemerken, daß<lb/> wir unter „Goethenthum“ nicht Goethes Werke verſtehen,<lb/> nicht jene theuern Schöpfungen, die vielleicht noch leben wer-<lb/> den, wenn längſt die deutſche Sprache ſchon geſtorben iſt, und<lb/> das geknutete Deutſchland in ſlaviſcher Mundart wimmert;<lb/> unter jenem Ausdruck verſtehen wir auch nicht eigentlich die<lb/> Goetheſche Denkweiſe, dieſe Blume, die, im Miſte unſerer<lb/> Zeit, immer blühender gedeihen wird, und ſollte auch ein<lb/> glühendes Enthouſiaſtenherz ſich über ihre kalte Behaglichkeit<lb/> noch ſo ſehr ärgern; mit dem Wort „Goethenthum“ deuteten<lb/> wir oben vielmehr auf Goetheſche Formen, wie wir ſie bei<lb/> der blöden Jüngerſchaar nachgeknetet finden, und auf das matte<lb/> Nachpiepſen jener Weiſen, die der Alte gepfiffen. Eben die<lb/> Freude, die dem Alten jenes Nachkneten und Nachpiepſen<lb/> gewährt, erregte unſere Klage. Der Alte! wie zahm<lb/> und milde iſt er geworden! Wie ſehr hat er ſich gebeſſert!<lb/> würde ein Nikolaite ſagen, der ihn noch in jenen wilden Jahren<lb/> kannte, wo er den ſchwülen Werther und den Götz mit der<lb/> eiſernen Hand ſchrieb! Wie hübſch manierlich iſt er geworden,<lb/> wie iſt ihm alle Rohheit jezt fatal, wie unangenehm berührt<lb/> es ihn, wenn er an die frühere xeniale, himmelſtürmende<lb/> Zeit erinnert wird, oder wenn gar Andere, in ſeine alten<lb/> Fußtapfen tretend, mit demſelben Uebermuthe ihre Titanen-<lb/> flegeljahre austoben! Sehr treffend hat in dieſer Hinſicht ein<lb/> geiſtreicher Ausländer unſeren Goethe mit einem alten Räuber-<lb/> hauptmanne verglichen, der ſich vom Handwerk zurückgezogen<lb/> hat, unter den Honoratioren eines Provinzialſtädtchens ein<lb/> ehrſam bürgerliches Leben führt, bis aufs Kleinlichſte alle<lb/> Philiſtertugenden zu erfüllen ſtrebt, und in die peinlichſte Ver-<lb/> legenheit geräth, wenn zufällig irgend ein wüſter Waldgeſell<lb/> aus Calabrien mit ihm zuſammentrifft, und alte Kameradſchaft<lb/> nachſuchen möchte.</p><lb/> <p> <hi rendition="#right"> <hi rendition="#g">H. Heine.</hi> </hi> </p> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [298/0016]
Wird Kunſt und Alterthum im Stande ſeyn, Natur
und Jugend zurückzudrängen?
Wir können nicht umhin, ausdrücklich zu bemerken, daß
wir unter „Goethenthum“ nicht Goethes Werke verſtehen,
nicht jene theuern Schöpfungen, die vielleicht noch leben wer-
den, wenn längſt die deutſche Sprache ſchon geſtorben iſt, und
das geknutete Deutſchland in ſlaviſcher Mundart wimmert;
unter jenem Ausdruck verſtehen wir auch nicht eigentlich die
Goetheſche Denkweiſe, dieſe Blume, die, im Miſte unſerer
Zeit, immer blühender gedeihen wird, und ſollte auch ein
glühendes Enthouſiaſtenherz ſich über ihre kalte Behaglichkeit
noch ſo ſehr ärgern; mit dem Wort „Goethenthum“ deuteten
wir oben vielmehr auf Goetheſche Formen, wie wir ſie bei
der blöden Jüngerſchaar nachgeknetet finden, und auf das matte
Nachpiepſen jener Weiſen, die der Alte gepfiffen. Eben die
Freude, die dem Alten jenes Nachkneten und Nachpiepſen
gewährt, erregte unſere Klage. Der Alte! wie zahm
und milde iſt er geworden! Wie ſehr hat er ſich gebeſſert!
würde ein Nikolaite ſagen, der ihn noch in jenen wilden Jahren
kannte, wo er den ſchwülen Werther und den Götz mit der
eiſernen Hand ſchrieb! Wie hübſch manierlich iſt er geworden,
wie iſt ihm alle Rohheit jezt fatal, wie unangenehm berührt
es ihn, wenn er an die frühere xeniale, himmelſtürmende
Zeit erinnert wird, oder wenn gar Andere, in ſeine alten
Fußtapfen tretend, mit demſelben Uebermuthe ihre Titanen-
flegeljahre austoben! Sehr treffend hat in dieſer Hinſicht ein
geiſtreicher Ausländer unſeren Goethe mit einem alten Räuber-
hauptmanne verglichen, der ſich vom Handwerk zurückgezogen
hat, unter den Honoratioren eines Provinzialſtädtchens ein
ehrſam bürgerliches Leben führt, bis aufs Kleinlichſte alle
Philiſtertugenden zu erfüllen ſtrebt, und in die peinlichſte Ver-
legenheit geräth, wenn zufällig irgend ein wüſter Waldgeſell
aus Calabrien mit ihm zuſammentrifft, und alte Kameradſchaft
nachſuchen möchte.
H. Heine.
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Universität Duisburg-Essen, Projekt Lyriktheorie (Dr. Rudolf Brandmeyer): Bereitstellung der Texttranskription.
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