Heine, Heinrich: [Rezension:] Die deutsche Literatur von Wolfgang Menzel. 2 Theile. Stuttgart, bei Gebrüder Frankh. 1828. In: Neue allgemeine politische Annalen, Band 27, Heft 3 (1828), S. 284–298.nen der Städte, er sendet gnädige Handschreiben und Me- Die brütende Stimmung unzufriedener Großen ist an- nen der Städte, er ſendet gnädige Handſchreiben und Me- Die brütende Stimmung unzufriedener Großen iſt an- <TEI> <text> <body> <div> <p><pb facs="#f0015" n="297"/> nen der Städte, er ſendet gnädige Handſchreiben und Me-<lb/> daillen an die Lieben Getreuen, und erſchafft einen Papieradel<lb/> von Hochbelobten, die ſich ſchon viel höher dünken als jene<lb/> wahren Großen, die ihren Adel, eben ſo gut wie der König<lb/> ſelbſt, von der Gnade Gottes erhalten, oder um whiggiſch zu<lb/> ſprechen, von der Meinung des Volkes. Aber immerhin<lb/> mag dieſes geſchehen. Sahen wir doch jüngſt in den Fürſten-<lb/> grüften von Weſtminſter, daß jene Großen, die, als ſie leb-<lb/> ten, mit den Königen haderten, dennoch im Tode in der<lb/> königlichen Nähe begraben liegen: – und ſo wird auch Goethe<lb/> nicht verhindern können, daß jene großen Geiſter, die er im<lb/> Leben gern entfernen wollte, dennoch im Tode mit ihm zuſam-<lb/> men kommen, und neben ihm ihren ewigen Platz finden im<lb/> Weſtminſter der deutſchen Literatur.</p><lb/> <p>Die brütende Stimmung unzufriedener Großen iſt an-<lb/> ſteckend, und die Luft wird ſchwül. Das Prinzip der Goethe-<lb/> ſchen Zeit, die Kunſtidee, entweicht, eine neue Zeit mit<lb/> einem neuen Prinzipe ſteigt auf, und ſeltſam! wie das Men-<lb/> zelſche Buch merken läßt, ſie beginnt mit Jnſurrektion gegen<lb/> Goethe. Vielleicht fühlt Goethe ſelbſt, daß die ſchöne objek-<lb/> tive Welt, die er durch Wort und Beiſpiel geſtiftet hat, noth-<lb/> wendiger Weiſe zuſammenſinkt, ſo wie die Kunſtidee allmälig<lb/> ihre Herrſchaft verliert, und daß neue friſche Geiſter von der<lb/> neuen Jdee der neuen Zeit hervorgetrieben werden, und gleich<lb/> nordiſchen Barbaren, die in den Süden einbrechen, das civi-<lb/> liſirte Goethenthum über den Haufen werfen und an deſſen<lb/> Stelle das Reich der wildeſten Subjektivität begründen. Daher<lb/> das Beſtreben, eine Goetheſche Landmiliz auf die Beine zu<lb/> bringen. Ueberall Garniſonen und aufmunternde Beförde-<lb/> rungen. Die alten Romantiker, die Janitſcharen, werden<lb/> zu regulären Truppen zugeſtutzt, müſſen ihre Keſſel ablie-<lb/> fern, müſſen die Goetheſche Uniform anziehen, müſſen täglich<lb/> exerziren. Die Rekruten lärmen und trinken und ſchreien<lb/> Vivat; die Trompeter blaſen –</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [297/0015]
nen der Städte, er ſendet gnädige Handſchreiben und Me-
daillen an die Lieben Getreuen, und erſchafft einen Papieradel
von Hochbelobten, die ſich ſchon viel höher dünken als jene
wahren Großen, die ihren Adel, eben ſo gut wie der König
ſelbſt, von der Gnade Gottes erhalten, oder um whiggiſch zu
ſprechen, von der Meinung des Volkes. Aber immerhin
mag dieſes geſchehen. Sahen wir doch jüngſt in den Fürſten-
grüften von Weſtminſter, daß jene Großen, die, als ſie leb-
ten, mit den Königen haderten, dennoch im Tode in der
königlichen Nähe begraben liegen: – und ſo wird auch Goethe
nicht verhindern können, daß jene großen Geiſter, die er im
Leben gern entfernen wollte, dennoch im Tode mit ihm zuſam-
men kommen, und neben ihm ihren ewigen Platz finden im
Weſtminſter der deutſchen Literatur.
Die brütende Stimmung unzufriedener Großen iſt an-
ſteckend, und die Luft wird ſchwül. Das Prinzip der Goethe-
ſchen Zeit, die Kunſtidee, entweicht, eine neue Zeit mit
einem neuen Prinzipe ſteigt auf, und ſeltſam! wie das Men-
zelſche Buch merken läßt, ſie beginnt mit Jnſurrektion gegen
Goethe. Vielleicht fühlt Goethe ſelbſt, daß die ſchöne objek-
tive Welt, die er durch Wort und Beiſpiel geſtiftet hat, noth-
wendiger Weiſe zuſammenſinkt, ſo wie die Kunſtidee allmälig
ihre Herrſchaft verliert, und daß neue friſche Geiſter von der
neuen Jdee der neuen Zeit hervorgetrieben werden, und gleich
nordiſchen Barbaren, die in den Süden einbrechen, das civi-
liſirte Goethenthum über den Haufen werfen und an deſſen
Stelle das Reich der wildeſten Subjektivität begründen. Daher
das Beſtreben, eine Goetheſche Landmiliz auf die Beine zu
bringen. Ueberall Garniſonen und aufmunternde Beförde-
rungen. Die alten Romantiker, die Janitſcharen, werden
zu regulären Truppen zugeſtutzt, müſſen ihre Keſſel ablie-
fern, müſſen die Goetheſche Uniform anziehen, müſſen täglich
exerziren. Die Rekruten lärmen und trinken und ſchreien
Vivat; die Trompeter blaſen –
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Universität Duisburg-Essen, Projekt Lyriktheorie (Dr. Rudolf Brandmeyer): Bereitstellung der Texttranskription.
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