Heine, Heinrich: [Rezension:] Die deutsche Literatur von Wolfgang Menzel. 2 Theile. Stuttgart, bei Gebrüder Frankh. 1828. In: Neue allgemeine politische Annalen, Band 27, Heft 3 (1828), S. 284–298.sam wirken. Dadurch, daß der Mystiker sich in die Traum- Wir können nicht genug rühmen, mit welchem Scharf- ſam wirken. Dadurch, daß der Myſtiker ſich in die Traum- Wir können nicht genug rühmen, mit welchem Scharf- <TEI> <text> <body> <div> <p><pb facs="#f0011" n="293"/> ſam wirken. Dadurch, daß der Myſtiker ſich in die Traum-<lb/> welt ſeiner innern Anſchauung zurückzieht und in ſich ſelbſt die<lb/> Quelle aller Erkenntniß annimmt: dadurch iſt er der Oberge-<lb/> walt jeder äußern Autorität entronnen, und die orthodoxeſten<lb/> Myſtiker haben auf dieſe Art in der Tiefe ihrer Seele jene<lb/> Urwahrheiten wieder gefunden, die mit den Vorſchriften des<lb/> posſitiven Glaubens im Widerſpruch ſtehen, ſie haben die Auto-<lb/> rität der Kirche geläugnet und haben mit Leib und Leben ihre<lb/> Meinung vertreten. Ein Myſtiker aus der Sekte der Eſſäer<lb/> war jener Rabbi, der in ſich ſelbſt die Offenbarung des Vaters<lb/> erkannte und die Welt erlöſte von der blinden Autorität ſtei-<lb/> nerner Geſetze und ſchlauer Prieſter; ein Myſtiker war jener<lb/> deutſche Mönch, der in ſeinem einſamen Gemüthe die Wahr-<lb/> heit ahnte, die längſt aus der Kirche verſchwunden war; –<lb/> und Myſtiker werden es ſeyn, die uns wieder vom neueren<lb/> Wortdienſt erlöſen und wieder eine Naturreligion begründen,<lb/> eine Religion, wo wieder freudige Götter aus Wäldern und<lb/> Steinen hervorwachſen und auch die Menſchen ſich göttlich<lb/> freuen. Die katholiſche Kirche hat jene Gefährlichkeit des<lb/> Myſtizismus immer tief gefühlt; daher, im Mittelalter, be-<lb/> förderte ſie mehr das Studium des Ariſtoteles als des Plato;<lb/> daher im vorigen Jahrhundert ihr Kampf gegen den Janſe-<lb/> nismus; und zeigt ſie ſich heut zu Tage ſehr freundlich gegen<lb/> Männer wie Schlegel, Görres, Haller, Müller etc., ſo be-<lb/> trachtet ſie ſolche doch nur wie Guerrillas, die man in ſchlim-<lb/> men Kriegszeiten, wo die ſtehenden Glaubensarmeen etwas<lb/> zuſammengeſchmolzen ſind, gut gebrauchen kann und ſpäterhin<lb/> in Friedenszeit gehörig unterdrücken wird. Es würde zu<lb/> weit führen, wenn wir nachweiſen wollten, wie auch im<lb/> Oriente der Myſtizismus den Autoritätsglauben ſprengt, wie<lb/> z.B. aus dem Sufismus in der neueſten Zeit Sekten ent-<lb/> ſtanden, deren Religionsbegriffe von der erhabenſten Art<lb/> ſind.</p><lb/> <p>Wir können nicht genug rühmen, mit welchem Scharf-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [293/0011]
ſam wirken. Dadurch, daß der Myſtiker ſich in die Traum-
welt ſeiner innern Anſchauung zurückzieht und in ſich ſelbſt die
Quelle aller Erkenntniß annimmt: dadurch iſt er der Oberge-
walt jeder äußern Autorität entronnen, und die orthodoxeſten
Myſtiker haben auf dieſe Art in der Tiefe ihrer Seele jene
Urwahrheiten wieder gefunden, die mit den Vorſchriften des
posſitiven Glaubens im Widerſpruch ſtehen, ſie haben die Auto-
rität der Kirche geläugnet und haben mit Leib und Leben ihre
Meinung vertreten. Ein Myſtiker aus der Sekte der Eſſäer
war jener Rabbi, der in ſich ſelbſt die Offenbarung des Vaters
erkannte und die Welt erlöſte von der blinden Autorität ſtei-
nerner Geſetze und ſchlauer Prieſter; ein Myſtiker war jener
deutſche Mönch, der in ſeinem einſamen Gemüthe die Wahr-
heit ahnte, die längſt aus der Kirche verſchwunden war; –
und Myſtiker werden es ſeyn, die uns wieder vom neueren
Wortdienſt erlöſen und wieder eine Naturreligion begründen,
eine Religion, wo wieder freudige Götter aus Wäldern und
Steinen hervorwachſen und auch die Menſchen ſich göttlich
freuen. Die katholiſche Kirche hat jene Gefährlichkeit des
Myſtizismus immer tief gefühlt; daher, im Mittelalter, be-
förderte ſie mehr das Studium des Ariſtoteles als des Plato;
daher im vorigen Jahrhundert ihr Kampf gegen den Janſe-
nismus; und zeigt ſie ſich heut zu Tage ſehr freundlich gegen
Männer wie Schlegel, Görres, Haller, Müller etc., ſo be-
trachtet ſie ſolche doch nur wie Guerrillas, die man in ſchlim-
men Kriegszeiten, wo die ſtehenden Glaubensarmeen etwas
zuſammengeſchmolzen ſind, gut gebrauchen kann und ſpäterhin
in Friedenszeit gehörig unterdrücken wird. Es würde zu
weit führen, wenn wir nachweiſen wollten, wie auch im
Oriente der Myſtizismus den Autoritätsglauben ſprengt, wie
z.B. aus dem Sufismus in der neueſten Zeit Sekten ent-
ſtanden, deren Religionsbegriffe von der erhabenſten Art
ſind.
Wir können nicht genug rühmen, mit welchem Scharf-
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Zitationshilfe: | Heine, Heinrich: [Rezension:] Die deutsche Literatur von Wolfgang Menzel. 2 Theile. Stuttgart, bei Gebrüder Frankh. 1828. In: Neue allgemeine politische Annalen, Band 27, Heft 3 (1828), S. 284–298, hier S. 293. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_rezension_1828/11>, abgerufen am 02.03.2025. |