Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Heine, Heinrich: Reisebilder. Nachträge. Hamburg, 1831.

Bild:
<< vorherige Seite

War ich angesteckt von dem Wunderglauben Fran¬
scheskas, die das Kreuz mit wilder Begeisterung
küßte? Verdrießlich wurde mir die eben so wilde
Spottlust der witzigen Brittinn. Vielleicht ver¬
letzte mich solche um so mehr, da ich mich
selbst nicht davon frey fühlte, und sie keineswegs
als etwas Lobenswerthes erachtete. Es ist nun
mahl nicht zu läugnen, daß die Spottlust, die
Freude am Widerspruch der Dinge, etwas Bös¬
artiges in sich trägt, statt daß der Ernst mehr
mit den besseren Gefühlen verwandt ist -- die
Tugend, der Freiheitssinn und die Liebe selbst sind
sehr ernsthaft. Indessen, es giebt Herzen, worin
Scherz und Ernst, Böses und Heiliges, Glut und
Kälte sich so abentheuerlich verbinden, daß es
schwer wird darüber zu urtheilen. Ein solches
Herz schwamm in der Brust Mathildens; manchmahl
war es eine frierende Eisinsel, aus deren glattem
Spiegelboden die sehnsüchtig glühendsten Palmen¬
wälder hervorblühten, manchmahl war es wieder ein

6 *

War ich angeſteckt von dem Wunderglauben Fran¬
ſcheskas, die das Kreuz mit wilder Begeiſterung
kuͤßte? Verdrießlich wurde mir die eben ſo wilde
Spottluſt der witzigen Brittinn. Vielleicht ver¬
letzte mich ſolche um ſo mehr, da ich mich
ſelbſt nicht davon frey fuͤhlte, und ſie keineswegs
als etwas Lobenswerthes erachtete. Es iſt nun
mahl nicht zu laͤugnen, daß die Spottluſt, die
Freude am Widerſpruch der Dinge, etwas Boͤs¬
artiges in ſich traͤgt, ſtatt daß der Ernſt mehr
mit den beſſeren Gefuͤhlen verwandt iſt — die
Tugend, der Freiheitsſinn und die Liebe ſelbſt ſind
ſehr ernſthaft. Indeſſen, es giebt Herzen, worin
Scherz und Ernſt, Boͤſes und Heiliges, Glut und
Kaͤlte ſich ſo abentheuerlich verbinden, daß es
ſchwer wird daruͤber zu urtheilen. Ein ſolches
Herz ſchwamm in der Bruſt Mathildens; manchmahl
war es eine frierende Eisinſel, aus deren glattem
Spiegelboden die ſehnſuͤchtig gluͤhendſten Palmen¬
waͤlder hervorbluͤhten, manchmahl war es wieder ein

6 *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0097" n="83"/>
          <p>War ich ange&#x017F;teckt von dem Wunderglauben Fran¬<lb/>
&#x017F;cheskas, die das Kreuz mit wilder Begei&#x017F;terung<lb/>
ku&#x0364;ßte? Verdrießlich wurde mir die eben &#x017F;o wilde<lb/>
Spottlu&#x017F;t der witzigen Brittinn. Vielleicht ver¬<lb/>
letzte mich &#x017F;olche um &#x017F;o mehr, da ich mich<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t nicht davon frey fu&#x0364;hlte, und &#x017F;ie keineswegs<lb/>
als etwas Lobenswerthes erachtete. Es i&#x017F;t nun<lb/>
mahl nicht zu la&#x0364;ugnen, daß die Spottlu&#x017F;t, die<lb/>
Freude am Wider&#x017F;pruch der Dinge, etwas Bo&#x0364;<lb/>
artiges in &#x017F;ich tra&#x0364;gt, &#x017F;tatt daß der Ern&#x017F;t mehr<lb/>
mit den be&#x017F;&#x017F;eren Gefu&#x0364;hlen verwandt i&#x017F;t &#x2014; die<lb/>
Tugend, der Freiheits&#x017F;inn und die Liebe &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;ind<lb/>
&#x017F;ehr ern&#x017F;thaft. Inde&#x017F;&#x017F;en, es giebt Herzen, worin<lb/>
Scherz und Ern&#x017F;t, Bo&#x0364;&#x017F;es und Heiliges, Glut und<lb/>
Ka&#x0364;lte &#x017F;ich &#x017F;o abentheuerlich verbinden, daß es<lb/>
&#x017F;chwer wird daru&#x0364;ber zu urtheilen. Ein &#x017F;olches<lb/>
Herz &#x017F;chwamm in der Bru&#x017F;t Mathildens; manchmahl<lb/>
war es eine frierende Eisin&#x017F;el, aus deren glattem<lb/>
Spiegelboden die &#x017F;ehn&#x017F;u&#x0364;chtig glu&#x0364;hend&#x017F;ten Palmen¬<lb/>
wa&#x0364;lder hervorblu&#x0364;hten, manchmahl war es wieder ein<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">6 *<lb/></fw>
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[83/0097] War ich angeſteckt von dem Wunderglauben Fran¬ ſcheskas, die das Kreuz mit wilder Begeiſterung kuͤßte? Verdrießlich wurde mir die eben ſo wilde Spottluſt der witzigen Brittinn. Vielleicht ver¬ letzte mich ſolche um ſo mehr, da ich mich ſelbſt nicht davon frey fuͤhlte, und ſie keineswegs als etwas Lobenswerthes erachtete. Es iſt nun mahl nicht zu laͤugnen, daß die Spottluſt, die Freude am Widerſpruch der Dinge, etwas Boͤs¬ artiges in ſich traͤgt, ſtatt daß der Ernſt mehr mit den beſſeren Gefuͤhlen verwandt iſt — die Tugend, der Freiheitsſinn und die Liebe ſelbſt ſind ſehr ernſthaft. Indeſſen, es giebt Herzen, worin Scherz und Ernſt, Boͤſes und Heiliges, Glut und Kaͤlte ſich ſo abentheuerlich verbinden, daß es ſchwer wird daruͤber zu urtheilen. Ein ſolches Herz ſchwamm in der Bruſt Mathildens; manchmahl war es eine frierende Eisinſel, aus deren glattem Spiegelboden die ſehnſuͤchtig gluͤhendſten Palmen¬ waͤlder hervorbluͤhten, manchmahl war es wieder ein 6 *

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder04_1831
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder04_1831/97
Zitationshilfe: Heine, Heinrich: Reisebilder. Nachträge. Hamburg, 1831, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder04_1831/97>, abgerufen am 24.11.2024.