lich die geschwärzten Freskos und Altarbilder, aus den Wänden traten hölzerne Heiligenköpfe, grell bemalt und bey dem zweifelhaften Lichte wie leben¬ dig grinsend -- Mylady schrie laut auf, und zeigte zu unseren Füßen einen Grabstein, worauf in relief das starre Bild eines Bischofs mit My¬ thra und Hirtenstab, gefalteten Händen und abge¬ tretener Nase. Ach! flüsterte sie, ich selbst trat ihm unsanft auf die steinerne Nase, und nun wird er mir diese Nacht im Traume erscheinen und da giebts eine Nase.
Der Sakristan, ein bleicher, junger Mönch, zeigte uns das wunderthätige Kreuz, und erzählte dabey die Mirakel, die es verrichtet. Launisch, wie ich bin, habe ich vielleicht kein ungläubiges Gesicht dazu gemacht; ich habe dann und wann Anfälle von Wunderglauben, besonders wo, wie hier, Ort und Stunde denselben begünstigt. Ich glaube dann, daß alles in der Welt ein Wunder sey, und die ganze Weltgeschichte eine Legende.
lich die geſchwaͤrzten Freskos und Altarbilder, aus den Waͤnden traten hoͤlzerne Heiligenkoͤpfe, grell bemalt und bey dem zweifelhaften Lichte wie leben¬ dig grinſend — Mylady ſchrie laut auf, und zeigte zu unſeren Fuͤßen einen Grabſtein, worauf in relief das ſtarre Bild eines Biſchofs mit My¬ thra und Hirtenſtab, gefalteten Haͤnden und abge¬ tretener Naſe. Ach! fluͤſterte ſie, ich ſelbſt trat ihm unſanft auf die ſteinerne Naſe, und nun wird er mir dieſe Nacht im Traume erſcheinen und da giebts eine Naſe.
Der Sakriſtan, ein bleicher, junger Moͤnch, zeigte uns das wunderthaͤtige Kreuz, und erzaͤhlte dabey die Mirakel, die es verrichtet. Launiſch, wie ich bin, habe ich vielleicht kein unglaͤubiges Geſicht dazu gemacht; ich habe dann und wann Anfaͤlle von Wunderglauben, beſonders wo, wie hier, Ort und Stunde denſelben beguͤnſtigt. Ich glaube dann, daß alles in der Welt ein Wunder ſey, und die ganze Weltgeſchichte eine Legende.
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lich die geſchwaͤrzten Freskos und Altarbilder, aus
den Waͤnden traten hoͤlzerne Heiligenkoͤpfe, grell
bemalt und bey dem zweifelhaften Lichte wie leben¬
dig grinſend — Mylady ſchrie laut auf, und
zeigte zu unſeren Fuͤßen einen Grabſtein, worauf
in relief das ſtarre Bild eines Biſchofs mit My¬
thra und Hirtenſtab, gefalteten Haͤnden und abge¬
tretener Naſe. Ach! fluͤſterte ſie, ich ſelbſt trat ihm
unſanft auf die ſteinerne Naſe, und nun wird er
mir dieſe Nacht im Traume erſcheinen und da
giebts eine Naſe.
Der Sakriſtan, ein bleicher, junger Moͤnch,
zeigte uns das wunderthaͤtige Kreuz, und erzaͤhlte
dabey die Mirakel, die es verrichtet. Launiſch,
wie ich bin, habe ich vielleicht kein unglaͤubiges
Geſicht dazu gemacht; ich habe dann und wann
Anfaͤlle von Wunderglauben, beſonders wo, wie
hier, Ort und Stunde denſelben beguͤnſtigt. Ich
glaube dann, daß alles in der Welt ein Wunder
ſey, und die ganze Weltgeſchichte eine Legende.
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Heine, Heinrich: Reisebilder. Nachträge. Hamburg, 1831, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder04_1831/96>, abgerufen am 22.11.2024.
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