Pazienten sogar zur Prozession, und trägt ihnen die Kerze. Es war gewiß der Tod selbst, den ich an der Seite eines blassen, bekümmerten Priesters gehen sah; in dünnen zitternden Knochenhänden trug er diesem die flimmernde Kerze, nickte dabey gar gutmüthig besänftigend mit dem ängstlich kah¬ len Köpfchen, und so schwach er selbst auf den Beinen war, so unterstützte er doch noch zuweilen den armen Priester, der bey jedem Schritte noch bleicher wurde und umsinken wollte. Er schien ihm Muth einzusprechen: warte nur noch einige Stündchen, dann sind wir zu Hause, und ich lösche die Kerze aus, und ich lege dich aufs Bett, und die kalten, müden Beine können aus¬ ruhen, und du sollst so fest schlafen, daß du das wimmernde Sankt Michaelsglöckchen nicht hören wirst.
"Gegen den Mann will ich auch nicht schrei¬ ben" dacht ich, als ich den armen, bleichen Prie¬ ster sah, dem der leibhaftige Tod zu Bette leuchtete.
Pazienten ſogar zur Prozeſſion, und traͤgt ihnen die Kerze. Es war gewiß der Tod ſelbſt, den ich an der Seite eines blaſſen, bekuͤmmerten Prieſters gehen ſah; in duͤnnen zitternden Knochenhaͤnden trug er dieſem die flimmernde Kerze, nickte dabey gar gutmuͤthig beſaͤnftigend mit dem aͤngſtlich kah¬ len Koͤpfchen, und ſo ſchwach er ſelbſt auf den Beinen war, ſo unterſtuͤtzte er doch noch zuweilen den armen Prieſter, der bey jedem Schritte noch bleicher wurde und umſinken wollte. Er ſchien ihm Muth einzuſprechen: warte nur noch einige Stuͤndchen, dann ſind wir zu Hauſe, und ich loͤſche die Kerze aus, und ich lege dich aufs Bett, und die kalten, muͤden Beine koͤnnen aus¬ ruhen, und du ſollſt ſo feſt ſchlafen, daß du das wimmernde Sankt Michaelsgloͤckchen nicht hoͤren wirſt.
„Gegen den Mann will ich auch nicht ſchrei¬ ben“ dacht ich, als ich den armen, bleichen Prie¬ ſter ſah, dem der leibhaftige Tod zu Bette leuchtete.
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Pazienten ſogar zur Prozeſſion, und traͤgt ihnen
die Kerze. Es war gewiß der Tod ſelbſt, den ich
an der Seite eines blaſſen, bekuͤmmerten Prieſters
gehen ſah; in duͤnnen zitternden Knochenhaͤnden
trug er dieſem die flimmernde Kerze, nickte dabey
gar gutmuͤthig beſaͤnftigend mit dem aͤngſtlich kah¬
len Koͤpfchen, und ſo ſchwach er ſelbſt auf den
Beinen war, ſo unterſtuͤtzte er doch noch zuweilen
den armen Prieſter, der bey jedem Schritte noch
bleicher wurde und umſinken wollte. Er ſchien
ihm Muth einzuſprechen: warte nur noch einige
Stuͤndchen, dann ſind wir zu Hauſe, und ich
loͤſche die Kerze aus, und ich lege dich aufs
Bett, und die kalten, muͤden Beine koͤnnen aus¬
ruhen, und du ſollſt ſo feſt ſchlafen, daß du das
wimmernde Sankt Michaelsgloͤckchen nicht hoͤren
wirſt.
„Gegen den Mann will ich auch nicht ſchrei¬
ben“ dacht ich, als ich den armen, bleichen Prie¬
ſter ſah, dem der leibhaftige Tod zu Bette leuchtete.
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Heine, Heinrich: Reisebilder. Nachträge. Hamburg, 1831, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder04_1831/54>, abgerufen am 22.11.2024.
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