Die vorderen Mönche gingen mit gekreuzten Armen, ernsthaft schweigend; aber die mit den hohen Mützen sangen einen gar unglücklichen Ge¬ sang, so näselnd, so schlürfend, so kollerend, daß ich überzeugt bin: wären die Juden die größere Volksmenge, und ihre Religion wäre die Staats¬ religion, so würde man obiges Gesinge mit dem Namen "Mauscheln" bezeichnen. Glücklicherweise konnte man es nur zur Hälfte vernehmen, indem hinter der Prozession, mit lautem Trommeln und Pfeifen, mehrere Compagnien Militär einherzogen, so wie überhaupt an beiden Seiten neben den wallenden Geistlichen, auch immer je zwey und zwey Grenadiere marschierten. Es waren fast mehr Soldaten als Geistliche; aber zur Unterstützung der Religion gehören heut zu Tage viel Bajo¬ nette, und wenn gar der Segen gegeben wird, dann müssen in der Ferne auch die Kanonen be¬ deutungsvoll donnern.
Wenn ich eine solche Prozession sehe, wo
3 *
Die vorderen Moͤnche gingen mit gekreuzten Armen, ernſthaft ſchweigend; aber die mit den hohen Muͤtzen ſangen einen gar ungluͤcklichen Ge¬ ſang, ſo naͤſelnd, ſo ſchluͤrfend, ſo kollerend, daß ich uͤberzeugt bin: waͤren die Juden die groͤßere Volksmenge, und ihre Religion waͤre die Staats¬ religion, ſo wuͤrde man obiges Geſinge mit dem Namen „Mauſcheln“ bezeichnen. Gluͤcklicherweiſe konnte man es nur zur Haͤlfte vernehmen, indem hinter der Prozeſſion, mit lautem Trommeln und Pfeifen, mehrere Compagnien Militaͤr einherzogen, ſo wie uͤberhaupt an beiden Seiten neben den wallenden Geiſtlichen, auch immer je zwey und zwey Grenadiere marſchierten. Es waren faſt mehr Soldaten als Geiſtliche; aber zur Unterſtuͤtzung der Religion gehoͤren heut zu Tage viel Bajo¬ nette, und wenn gar der Segen gegeben wird, dann muͤſſen in der Ferne auch die Kanonen be¬ deutungsvoll donnern.
Wenn ich eine ſolche Prozeſſion ſehe, wo
3 *
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0049"n="35"/><p>Die vorderen Moͤnche gingen mit gekreuzten<lb/>
Armen, ernſthaft ſchweigend; aber die mit den<lb/>
hohen Muͤtzen ſangen einen gar ungluͤcklichen Ge¬<lb/>ſang, ſo naͤſelnd, ſo ſchluͤrfend, ſo kollerend, daß<lb/>
ich uͤberzeugt bin: waͤren die Juden die groͤßere<lb/>
Volksmenge, und ihre Religion waͤre die Staats¬<lb/>
religion, ſo wuͤrde man obiges Geſinge mit dem<lb/>
Namen „Mauſcheln“ bezeichnen. Gluͤcklicherweiſe<lb/>
konnte man es nur zur Haͤlfte vernehmen, indem<lb/>
hinter der Prozeſſion, mit lautem Trommeln und<lb/>
Pfeifen, mehrere Compagnien Militaͤr einherzogen,<lb/>ſo wie uͤberhaupt an beiden Seiten neben den<lb/>
wallenden Geiſtlichen, auch immer je zwey und<lb/>
zwey Grenadiere marſchierten. Es waren faſt mehr<lb/>
Soldaten als Geiſtliche; aber zur Unterſtuͤtzung<lb/>
der Religion gehoͤren heut zu Tage viel Bajo¬<lb/>
nette, und wenn gar der Segen gegeben wird,<lb/>
dann muͤſſen in der Ferne auch die Kanonen be¬<lb/>
deutungsvoll donnern.</p><lb/><p>Wenn ich eine ſolche Prozeſſion ſehe, wo<lb/><fwplace="bottom"type="sig">3 *<lb/></fw></p></div></div></body></text></TEI>
[35/0049]
Die vorderen Moͤnche gingen mit gekreuzten
Armen, ernſthaft ſchweigend; aber die mit den
hohen Muͤtzen ſangen einen gar ungluͤcklichen Ge¬
ſang, ſo naͤſelnd, ſo ſchluͤrfend, ſo kollerend, daß
ich uͤberzeugt bin: waͤren die Juden die groͤßere
Volksmenge, und ihre Religion waͤre die Staats¬
religion, ſo wuͤrde man obiges Geſinge mit dem
Namen „Mauſcheln“ bezeichnen. Gluͤcklicherweiſe
konnte man es nur zur Haͤlfte vernehmen, indem
hinter der Prozeſſion, mit lautem Trommeln und
Pfeifen, mehrere Compagnien Militaͤr einherzogen,
ſo wie uͤberhaupt an beiden Seiten neben den
wallenden Geiſtlichen, auch immer je zwey und
zwey Grenadiere marſchierten. Es waren faſt mehr
Soldaten als Geiſtliche; aber zur Unterſtuͤtzung
der Religion gehoͤren heut zu Tage viel Bajo¬
nette, und wenn gar der Segen gegeben wird,
dann muͤſſen in der Ferne auch die Kanonen be¬
deutungsvoll donnern.
Wenn ich eine ſolche Prozeſſion ſehe, wo
3 *
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Heine, Heinrich: Reisebilder. Nachträge. Hamburg, 1831, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder04_1831/49>, abgerufen am 18.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.