Manchmal überschleicht mich geheimer Zweifel, ob ich ihn wirklich selbst gesehen, ob wir wirklich seine Zeitgenossen waren, und es ist mir dann als ob sein Bild, losgerissen aus dem kleinen Ramen der Gegenwart, immer stolzer und herrischer zurück¬ weiche in vergangenheitliche Dämmerung. Sein Name schon klingt uns wie eine Kunde der Vor¬ welt, und eben so antik und heroisch wie die Na¬ men Alexander und Cäsar. Er ist schon ein Lo¬ sungswort geworden unter den Völkern, und wenn der Orient und der Occident sich begegnen, so ver¬ ständigen sie sich durch diesen einzigen Namen.
Wie bedeutsam und magisch alsdann dieser Name erklingen kann, das empfand ich aufs Tiefste, als ich einst im Hafen von London, wo die indi¬ schen Docks sind, an Bord eines Ostindienfahrers stieg, der eben aus Bengalen angelangt war. Es war ein riesenhaftes Schiff und zahlreich bemannt mit Hindostanern. Die grotesken Gestalten und Gruppen, die seltsam bunten Trachten, die räth¬
Manchmal uͤberſchleicht mich geheimer Zweifel, ob ich ihn wirklich ſelbſt geſehen, ob wir wirklich ſeine Zeitgenoſſen waren, und es iſt mir dann als ob ſein Bild, losgeriſſen aus dem kleinen Ramen der Gegenwart, immer ſtolzer und herriſcher zuruͤck¬ weiche in vergangenheitliche Daͤmmerung. Sein Name ſchon klingt uns wie eine Kunde der Vor¬ welt, und eben ſo antik und heroiſch wie die Na¬ men Alexander und Caͤſar. Er iſt ſchon ein Lo¬ ſungswort geworden unter den Voͤlkern, und wenn der Orient und der Occident ſich begegnen, ſo ver¬ ſtaͤndigen ſie ſich durch dieſen einzigen Namen.
Wie bedeutſam und magiſch alsdann dieſer Name erklingen kann, das empfand ich aufs Tiefſte, als ich einſt im Hafen von London, wo die indi¬ ſchen Docks ſind, an Bord eines Oſtindienfahrers ſtieg, der eben aus Bengalen angelangt war. Es war ein rieſenhaftes Schiff und zahlreich bemannt mit Hindoſtanern. Die grotesken Geſtalten und Gruppen, die ſeltſam bunten Trachten, die raͤth¬
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Manchmal uͤberſchleicht mich geheimer Zweifel,
ob ich ihn wirklich ſelbſt geſehen, ob wir wirklich
ſeine Zeitgenoſſen waren, und es iſt mir dann als ob
ſein Bild, losgeriſſen aus dem kleinen Ramen der
Gegenwart, immer ſtolzer und herriſcher zuruͤck¬
weiche in vergangenheitliche Daͤmmerung. Sein
Name ſchon klingt uns wie eine Kunde der Vor¬
welt, und eben ſo antik und heroiſch wie die Na¬
men Alexander und Caͤſar. Er iſt ſchon ein Lo¬
ſungswort geworden unter den Voͤlkern, und wenn
der Orient und der Occident ſich begegnen, ſo ver¬
ſtaͤndigen ſie ſich durch dieſen einzigen Namen.
Wie bedeutſam und magiſch alsdann dieſer
Name erklingen kann, das empfand ich aufs Tiefſte,
als ich einſt im Hafen von London, wo die indi¬
ſchen Docks ſind, an Bord eines Oſtindienfahrers
ſtieg, der eben aus Bengalen angelangt war. Es
war ein rieſenhaftes Schiff und zahlreich bemannt
mit Hindoſtanern. Die grotesken Geſtalten und
Gruppen, die ſeltſam bunten Trachten, die raͤth¬
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Heine, Heinrich: Reisebilder. Nachträge. Hamburg, 1831, S. 293. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder04_1831/307>, abgerufen am 24.11.2024.
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