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Heine, Heinrich: Reisebilder. Nachträge. Hamburg, 1831.

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anstrengen zur Erfindung neuer Maschinen, und
er sitzt und rechnet im Schweiße seines Angesichts,
und rennt und läuft, ohne sich viel umzusehen,
vom Hafen nach der Börse, von der Börse nach
dem Strand, und da ist es sehr verzeihlich, wenn
er an der Ecke von Cheapside einen armen deut¬
schen Poeten, der einen Bilderladen angaffend
ihm in dem Wege steht, etwas unsanft auf die
Seite stößt. "God damn!"

Das Bild aber, welches ich an der Ecke von
Cheapside angaffte, war der Uebergang der Fran¬
zosen über die Beresina.

Als ich, aus dieser Betrachtung aufgerüttelt,
wieder auf die tosende Straße blickte, wo ein
buntscheckiger Knäul von Männern, Weibern,
Kindern, Pferden, Postkutschen, darunter auch
ein Leichenzug, sich brausend, schreiend, ächzend
und knarrend dahinwälzte: da schien es mir, als
sey ganz London so eine Beresinabrücke, wo jeder
in wahnsinniger Angst, um sein Bischen Leben

anſtrengen zur Erfindung neuer Maſchinen, und
er ſitzt und rechnet im Schweiße ſeines Angeſichts,
und rennt und laͤuft, ohne ſich viel umzuſehen,
vom Hafen nach der Boͤrſe, von der Boͤrſe nach
dem Strand, und da iſt es ſehr verzeihlich, wenn
er an der Ecke von Cheapſide einen armen deut¬
ſchen Poeten, der einen Bilderladen angaffend
ihm in dem Wege ſteht, etwas unſanft auf die
Seite ſtoͤßt. „God damn!“

Das Bild aber, welches ich an der Ecke von
Cheapſide angaffte, war der Uebergang der Fran¬
zoſen uͤber die Bereſina.

Als ich, aus dieſer Betrachtung aufgeruͤttelt,
wieder auf die toſende Straße blickte, wo ein
buntſcheckiger Knaͤul von Maͤnnern, Weibern,
Kindern, Pferden, Poſtkutſchen, darunter auch
ein Leichenzug, ſich brauſend, ſchreiend, aͤchzend
und knarrend dahinwaͤlzte: da ſchien es mir, als
ſey ganz London ſo eine Bereſinabruͤcke, wo jeder
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[159/0173] anſtrengen zur Erfindung neuer Maſchinen, und er ſitzt und rechnet im Schweiße ſeines Angeſichts, und rennt und laͤuft, ohne ſich viel umzuſehen, vom Hafen nach der Boͤrſe, von der Boͤrſe nach dem Strand, und da iſt es ſehr verzeihlich, wenn er an der Ecke von Cheapſide einen armen deut¬ ſchen Poeten, der einen Bilderladen angaffend ihm in dem Wege ſteht, etwas unſanft auf die Seite ſtoͤßt. „God damn!“ Das Bild aber, welches ich an der Ecke von Cheapſide angaffte, war der Uebergang der Fran¬ zoſen uͤber die Bereſina. Als ich, aus dieſer Betrachtung aufgeruͤttelt, wieder auf die toſende Straße blickte, wo ein buntſcheckiger Knaͤul von Maͤnnern, Weibern, Kindern, Pferden, Poſtkutſchen, darunter auch ein Leichenzug, ſich brauſend, ſchreiend, aͤchzend und knarrend dahinwaͤlzte: da ſchien es mir, als ſey ganz London ſo eine Bereſinabruͤcke, wo jeder in wahnſinniger Angſt, um ſein Bischen Leben

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Zitationshilfe: Heine, Heinrich: Reisebilder. Nachträge. Hamburg, 1831, S. 159. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder04_1831/173>, abgerufen am 25.11.2024.