anstrengen zur Erfindung neuer Maschinen, und er sitzt und rechnet im Schweiße seines Angesichts, und rennt und läuft, ohne sich viel umzusehen, vom Hafen nach der Börse, von der Börse nach dem Strand, und da ist es sehr verzeihlich, wenn er an der Ecke von Cheapside einen armen deut¬ schen Poeten, der einen Bilderladen angaffend ihm in dem Wege steht, etwas unsanft auf die Seite stößt. "God damn!"
Das Bild aber, welches ich an der Ecke von Cheapside angaffte, war der Uebergang der Fran¬ zosen über die Beresina.
Als ich, aus dieser Betrachtung aufgerüttelt, wieder auf die tosende Straße blickte, wo ein buntscheckiger Knäul von Männern, Weibern, Kindern, Pferden, Postkutschen, darunter auch ein Leichenzug, sich brausend, schreiend, ächzend und knarrend dahinwälzte: da schien es mir, als sey ganz London so eine Beresinabrücke, wo jeder in wahnsinniger Angst, um sein Bischen Leben
anſtrengen zur Erfindung neuer Maſchinen, und er ſitzt und rechnet im Schweiße ſeines Angeſichts, und rennt und laͤuft, ohne ſich viel umzuſehen, vom Hafen nach der Boͤrſe, von der Boͤrſe nach dem Strand, und da iſt es ſehr verzeihlich, wenn er an der Ecke von Cheapſide einen armen deut¬ ſchen Poeten, der einen Bilderladen angaffend ihm in dem Wege ſteht, etwas unſanft auf die Seite ſtoͤßt. „God damn!“
Das Bild aber, welches ich an der Ecke von Cheapſide angaffte, war der Uebergang der Fran¬ zoſen uͤber die Bereſina.
Als ich, aus dieſer Betrachtung aufgeruͤttelt, wieder auf die toſende Straße blickte, wo ein buntſcheckiger Knaͤul von Maͤnnern, Weibern, Kindern, Pferden, Poſtkutſchen, darunter auch ein Leichenzug, ſich brauſend, ſchreiend, aͤchzend und knarrend dahinwaͤlzte: da ſchien es mir, als ſey ganz London ſo eine Bereſinabruͤcke, wo jeder in wahnſinniger Angſt, um ſein Bischen Leben
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0173"n="159"/>
anſtrengen zur Erfindung neuer Maſchinen, und<lb/>
er ſitzt und rechnet im Schweiße ſeines Angeſichts,<lb/>
und rennt und laͤuft, ohne ſich viel umzuſehen,<lb/>
vom Hafen nach der Boͤrſe, von der Boͤrſe nach<lb/>
dem Strand, und da iſt es ſehr verzeihlich, wenn<lb/>
er an der Ecke von Cheapſide einen armen deut¬<lb/>ſchen Poeten, der einen Bilderladen angaffend<lb/>
ihm in dem Wege ſteht, etwas unſanft auf die<lb/>
Seite ſtoͤßt. „<hirendition="#aq">God damn</hi>!“</p><lb/><p>Das Bild aber, welches ich an der Ecke von<lb/>
Cheapſide angaffte, war der Uebergang der Fran¬<lb/>
zoſen uͤber die Bereſina.</p><lb/><p>Als ich, aus dieſer Betrachtung aufgeruͤttelt,<lb/>
wieder auf die toſende Straße blickte, wo ein<lb/>
buntſcheckiger Knaͤul von Maͤnnern, Weibern,<lb/>
Kindern, Pferden, Poſtkutſchen, darunter auch<lb/>
ein Leichenzug, ſich brauſend, ſchreiend, aͤchzend<lb/>
und knarrend dahinwaͤlzte: da ſchien es mir, als<lb/>ſey ganz London ſo eine Bereſinabruͤcke, wo jeder<lb/>
in wahnſinniger Angſt, um ſein Bischen Leben<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[159/0173]
anſtrengen zur Erfindung neuer Maſchinen, und
er ſitzt und rechnet im Schweiße ſeines Angeſichts,
und rennt und laͤuft, ohne ſich viel umzuſehen,
vom Hafen nach der Boͤrſe, von der Boͤrſe nach
dem Strand, und da iſt es ſehr verzeihlich, wenn
er an der Ecke von Cheapſide einen armen deut¬
ſchen Poeten, der einen Bilderladen angaffend
ihm in dem Wege ſteht, etwas unſanft auf die
Seite ſtoͤßt. „God damn!“
Das Bild aber, welches ich an der Ecke von
Cheapſide angaffte, war der Uebergang der Fran¬
zoſen uͤber die Bereſina.
Als ich, aus dieſer Betrachtung aufgeruͤttelt,
wieder auf die toſende Straße blickte, wo ein
buntſcheckiger Knaͤul von Maͤnnern, Weibern,
Kindern, Pferden, Poſtkutſchen, darunter auch
ein Leichenzug, ſich brauſend, ſchreiend, aͤchzend
und knarrend dahinwaͤlzte: da ſchien es mir, als
ſey ganz London ſo eine Bereſinabruͤcke, wo jeder
in wahnſinniger Angſt, um ſein Bischen Leben
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Heine, Heinrich: Reisebilder. Nachträge. Hamburg, 1831, S. 159. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder04_1831/173>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.