Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Heine, Heinrich: Reisebilder. Nachträge. Hamburg, 1831.

Bild:
<< vorherige Seite

Freyheit, den wir Gleichheit nennen, vollauf genie¬
ßen lassen. Die Franzosen sind kein häusliches
Volk, sondern ein geselliges, sie lieben kein schwei¬
gendes Beysammensitzen, welches sie une conversa¬
tion anglaise
nennen, sie laufen plaudernd vom
Kaffeehaus nach dem Cassino, vom Cassino nach den
Salons, ihr leichtes Champagnerblut und angebo¬
renes Umgangstalent treibt sie zum Gesellschaftsle¬
ben, und dessen erste und letzte Bedingung, ja des¬
sen Seele ist: die Gleichheit. Mit der Ausbildung
der Gesellschaftlichkeit in Frankreich mußte daher
auch das Bedürfniß der Gleichheit entstehen, und
wenn auch der Grund der Revolution im Budget
zu suchen ist, so wurde ihr doch zuerst Wort und
Stimme verliehen, von jenen geistreichen Roturiers,
die in den Salons von Paris mit der hohen No¬
blesse scheinbar auf einem Fuße der Gleichheit leb¬
ten, und doch dann und wann, sey es auch nur
durch ein kaum bemerkbares, aber desto tiefer ver¬
letzendes Feudallächeln, an die große, schmachvolle

Freyheit, den wir Gleichheit nennen, vollauf genie¬
ßen laſſen. Die Franzoſen ſind kein haͤusliches
Volk, ſondern ein geſelliges, ſie lieben kein ſchwei¬
gendes Beyſammenſitzen, welches ſie une conversa¬
tion anglaise
nennen, ſie laufen plaudernd vom
Kaffeehaus nach dem Caſſino, vom Caſſino nach den
Salons, ihr leichtes Champagnerblut und angebo¬
renes Umgangstalent treibt ſie zum Geſellſchaftsle¬
ben, und deſſen erſte und letzte Bedingung, ja deſ¬
ſen Seele iſt: die Gleichheit. Mit der Ausbildung
der Geſellſchaftlichkeit in Frankreich mußte daher
auch das Beduͤrfniß der Gleichheit entſtehen, und
wenn auch der Grund der Revolution im Budget
zu ſuchen iſt, ſo wurde ihr doch zuerſt Wort und
Stimme verliehen, von jenen geiſtreichen Roturiers,
die in den Salons von Paris mit der hohen No¬
bleſſe ſcheinbar auf einem Fuße der Gleichheit leb¬
ten, und doch dann und wann, ſey es auch nur
durch ein kaum bemerkbares, aber deſto tiefer ver¬
letzendes Feudallaͤcheln, an die große, ſchmachvolle

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0160" n="146"/>
Freyheit, den wir Gleichheit nennen, vollauf genie¬<lb/>
ßen la&#x017F;&#x017F;en. Die Franzo&#x017F;en &#x017F;ind kein ha&#x0364;usliches<lb/>
Volk, &#x017F;ondern ein ge&#x017F;elliges, &#x017F;ie lieben kein &#x017F;chwei¬<lb/>
gendes Bey&#x017F;ammen&#x017F;itzen, welches &#x017F;ie <hi rendition="#aq">une conversa¬<lb/>
tion anglaise</hi> nennen, &#x017F;ie laufen plaudernd vom<lb/>
Kaffeehaus nach dem Ca&#x017F;&#x017F;ino, vom Ca&#x017F;&#x017F;ino nach den<lb/>
Salons, ihr leichtes Champagnerblut und angebo¬<lb/>
renes Umgangstalent treibt &#x017F;ie zum Ge&#x017F;ell&#x017F;chaftsle¬<lb/>
ben, und de&#x017F;&#x017F;en er&#x017F;te und letzte Bedingung, ja de&#x017F;¬<lb/>
&#x017F;en Seele i&#x017F;t: die Gleichheit. Mit der Ausbildung<lb/>
der Ge&#x017F;ell&#x017F;chaftlichkeit in Frankreich mußte daher<lb/>
auch das Bedu&#x0364;rfniß der Gleichheit ent&#x017F;tehen, und<lb/>
wenn auch der Grund der Revolution im Budget<lb/>
zu &#x017F;uchen i&#x017F;t, &#x017F;o wurde ihr doch zuer&#x017F;t Wort und<lb/>
Stimme verliehen, von jenen gei&#x017F;treichen Roturiers,<lb/>
die in den Salons von Paris mit der hohen No¬<lb/>
ble&#x017F;&#x017F;e &#x017F;cheinbar auf einem Fuße der Gleichheit leb¬<lb/>
ten, und doch dann und wann, &#x017F;ey es auch nur<lb/>
durch ein kaum bemerkbares, aber de&#x017F;to tiefer ver¬<lb/>
letzendes Feudalla&#x0364;cheln, an die große, &#x017F;chmachvolle<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[146/0160] Freyheit, den wir Gleichheit nennen, vollauf genie¬ ßen laſſen. Die Franzoſen ſind kein haͤusliches Volk, ſondern ein geſelliges, ſie lieben kein ſchwei¬ gendes Beyſammenſitzen, welches ſie une conversa¬ tion anglaise nennen, ſie laufen plaudernd vom Kaffeehaus nach dem Caſſino, vom Caſſino nach den Salons, ihr leichtes Champagnerblut und angebo¬ renes Umgangstalent treibt ſie zum Geſellſchaftsle¬ ben, und deſſen erſte und letzte Bedingung, ja deſ¬ ſen Seele iſt: die Gleichheit. Mit der Ausbildung der Geſellſchaftlichkeit in Frankreich mußte daher auch das Beduͤrfniß der Gleichheit entſtehen, und wenn auch der Grund der Revolution im Budget zu ſuchen iſt, ſo wurde ihr doch zuerſt Wort und Stimme verliehen, von jenen geiſtreichen Roturiers, die in den Salons von Paris mit der hohen No¬ bleſſe ſcheinbar auf einem Fuße der Gleichheit leb¬ ten, und doch dann und wann, ſey es auch nur durch ein kaum bemerkbares, aber deſto tiefer ver¬ letzendes Feudallaͤcheln, an die große, ſchmachvolle

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder04_1831
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder04_1831/160
Zitationshilfe: Heine, Heinrich: Reisebilder. Nachträge. Hamburg, 1831, S. 146. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder04_1831/160>, abgerufen am 21.11.2024.