einem übermüthig frommen Geschlechte, das seinen Glauben in den Himmel hineinbauen wollte, so riesenhoch aufgethürmt wurden; sie sind morsch und verfallen und ihre Götter glauben an sich selbst nicht mehr. Diese Götter sind abgelebt, und un¬ sere Zeit hat nicht Phantasie genug neue zu schaf¬ fen. Alle Kraft der Menschenbrust wird jetzt zu Freyheitsliebe und die Freyheit ist vielleicht die Re¬ ligion der neuen Zeit, und es ist wieder eine Re¬ ligion, die nicht den Reichen gepredigt wurde, son¬ dern den Armen, und sie hat ebenfalls ihre Evan¬ gelisten, ihre Martyrer und ihre Ischariots!"
"Junger Enthusiast," sprach der gelbe Mann, "Sie werden nicht finden, was Sie suchen. Sie mögen Recht haben, daß die Freyheit eine neue Religion ist, die sich über die ganze Erde verbrei¬ tet. Aber wie einst jedes Volk, indem es das Chri¬ stenthum annahm, solches nach seinen Bedürfnissen und seinem eigenen Charakter modelte, so wird je¬ des Volk von der neuen Religion, von der Frey¬
einem uͤbermuͤthig frommen Geſchlechte, das ſeinen Glauben in den Himmel hineinbauen wollte, ſo rieſenhoch aufgethuͤrmt wurden; ſie ſind morſch und verfallen und ihre Goͤtter glauben an ſich ſelbſt nicht mehr. Dieſe Goͤtter ſind abgelebt, und un¬ ſere Zeit hat nicht Phantaſie genug neue zu ſchaf¬ fen. Alle Kraft der Menſchenbruſt wird jetzt zu Freyheitsliebe und die Freyheit iſt vielleicht die Re¬ ligion der neuen Zeit, und es iſt wieder eine Re¬ ligion, die nicht den Reichen gepredigt wurde, ſon¬ dern den Armen, und ſie hat ebenfalls ihre Evan¬ geliſten, ihre Martyrer und ihre Iſchariots!“
„Junger Enthuſiaſt,“ ſprach der gelbe Mann, „Sie werden nicht finden, was Sie ſuchen. Sie moͤgen Recht haben, daß die Freyheit eine neue Religion iſt, die ſich uͤber die ganze Erde verbrei¬ tet. Aber wie einſt jedes Volk, indem es das Chri¬ ſtenthum annahm, ſolches nach ſeinen Beduͤrfniſſen und ſeinem eigenen Charakter modelte, ſo wird je¬ des Volk von der neuen Religion, von der Frey¬
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einem uͤbermuͤthig frommen Geſchlechte, das ſeinen
Glauben in den Himmel hineinbauen wollte, ſo
rieſenhoch aufgethuͤrmt wurden; ſie ſind morſch und
verfallen und ihre Goͤtter glauben an ſich ſelbſt
nicht mehr. Dieſe Goͤtter ſind abgelebt, und un¬
ſere Zeit hat nicht Phantaſie genug neue zu ſchaf¬
fen. Alle Kraft der Menſchenbruſt wird jetzt zu
Freyheitsliebe und die Freyheit iſt vielleicht die Re¬
ligion der neuen Zeit, und es iſt wieder eine Re¬
ligion, die nicht den Reichen gepredigt wurde, ſon¬
dern den Armen, und ſie hat ebenfalls ihre Evan¬
geliſten, ihre Martyrer und ihre Iſchariots!“
„Junger Enthuſiaſt,“ ſprach der gelbe Mann,
„Sie werden nicht finden, was Sie ſuchen. Sie
moͤgen Recht haben, daß die Freyheit eine neue
Religion iſt, die ſich uͤber die ganze Erde verbrei¬
tet. Aber wie einſt jedes Volk, indem es das Chri¬
ſtenthum annahm, ſolches nach ſeinen Beduͤrfniſſen
und ſeinem eigenen Charakter modelte, ſo wird je¬
des Volk von der neuen Religion, von der Frey¬
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Heine, Heinrich: Reisebilder. Nachträge. Hamburg, 1831, S. 144. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder04_1831/158>, abgerufen am 24.11.2024.
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