betastungssüchtig und anleckend, daß man glauben sollte, der Verfasser sey ein manntolles Mägdlein -- Nur müßte es dann einigermaßen befremden, daß dieses Mägdlein beständig jammert, ihre Liebe sey gegen die "Sitte" daß sie gegen "diese trennende Sitte" so bitter gestimmt ist, wie ein Taschendieb gegen die Polizey, daß sie liebend "die Lende" des Freundes umschlingen möchte, daß sie sich über "Neider" beklagt, "die sich schlau ver¬ einen, um uns zu hindern und getrennt zu hal¬ ten" daß sie über verletzende Kränkungen klagt von Seiten des Freundes, daß sie ihm versichert, sie wolle ihn nur flüchtig erblicken, ihm betheuert "Nicht eine Sylbe soll dein Ohr erschrecken!" und endlich gesteht:
"Mein Wunsch bey Andern Widerstreben, Du hast ihn nicht erhört, doch abgeschlagen Hast du ihn auch nicht, o mein süßes Leben!"
Ich muß dem Markese das Zeugniß ertheilen, daß er diese Gedichte gut vortrug, hinlänglich
betaſtungsſuͤchtig und anleckend, daß man glauben ſollte, der Verfaſſer ſey ein manntolles Maͤgdlein — Nur muͤßte es dann einigermaßen befremden, daß dieſes Maͤgdlein beſtaͤndig jammert, ihre Liebe ſey gegen die „Sitte“ daß ſie gegen „dieſe trennende Sitte“ ſo bitter geſtimmt iſt, wie ein Taſchendieb gegen die Polizey, daß ſie liebend „die Lende“ des Freundes umſchlingen moͤchte, daß ſie ſich uͤber „Neider“ beklagt, „die ſich ſchlau ver¬ einen, um uns zu hindern und getrennt zu hal¬ ten“ daß ſie uͤber verletzende Kraͤnkungen klagt von Seiten des Freundes, daß ſie ihm verſichert, ſie wolle ihn nur fluͤchtig erblicken, ihm betheuert „Nicht eine Sylbe ſoll dein Ohr erſchrecken!“ und endlich geſteht:
„Mein Wunſch bey Andern Widerſtreben, Du haſt ihn nicht erhoͤrt, doch abgeſchlagen Haſt du ihn auch nicht, o mein ſuͤßes Leben!“
Ich muß dem Markeſe das Zeugniß ertheilen, daß er dieſe Gedichte gut vortrug, hinlaͤnglich
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betaſtungsſuͤchtig und anleckend, daß man glauben
ſollte, der Verfaſſer ſey ein manntolles Maͤgdlein —
Nur muͤßte es dann einigermaßen befremden, daß
dieſes Maͤgdlein beſtaͤndig jammert, ihre Liebe
ſey gegen die „Sitte“ daß ſie gegen „dieſe
trennende Sitte“ ſo bitter geſtimmt iſt, wie ein
Taſchendieb gegen die Polizey, daß ſie liebend
„die Lende“ des Freundes umſchlingen moͤchte, daß
ſie ſich uͤber „Neider“ beklagt, „die ſich ſchlau ver¬
einen, um uns zu hindern und getrennt zu hal¬
ten“ daß ſie uͤber verletzende Kraͤnkungen klagt
von Seiten des Freundes, daß ſie ihm verſichert,
ſie wolle ihn nur fluͤchtig erblicken, ihm betheuert
„Nicht eine Sylbe ſoll dein Ohr erſchrecken!“
und endlich geſteht:
„Mein Wunſch bey Andern Widerſtreben,
Du haſt ihn nicht erhoͤrt, doch abgeſchlagen
Haſt du ihn auch nicht, o mein ſuͤßes Leben!“
Ich muß dem Markeſe das Zeugniß ertheilen,
daß er dieſe Gedichte gut vortrug, hinlaͤnglich
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Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 3. Hamburg, 1830, S. 349. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder03_1830/357>, abgerufen am 22.11.2024.
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