Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 3. Hamburg, 1830.

Bild:
<< vorherige Seite

und dessen Urform sich unter einer patriotischen
Schneidergesellschaft eben so geheimnißvoll traditio¬
nel erhalten hat, wie einst die gothische Bau¬
kunst unter einer mystischen Maurergilde. Ein
weißgewaschener Lappen, der mit dem bloßen,
altdeutschen Halse tiefbedeutsam kontrastirte, be¬
deckte den Kragen dieses famosen Rockes, aus
seinen langen Aermeln hingen lange schmutzige
Hände, zwischen diesen zeigte sich ein lang¬
weiliger Leib, woran wieder zwei kurzweilige
Beine schlotterten -- die ganze Gestalt war
eine katzenjämmerliche Parodie des Apoll von
Belvedere.

Und des ist der Demagog des neuen
Athens? frug spottlächelnd der Berliner. Du
juter Jott, des ist ja ein Landsmann von mich!
Ich traue kaum meinen leiblichen Augen -- des
ist ja derjenige welcher -- Ne, des ist die
Möglichkeit!

und deſſen Urform ſich unter einer patriotiſchen
Schneidergeſellſchaft eben ſo geheimnißvoll traditio¬
nel erhalten hat, wie einſt die gothiſche Bau¬
kunſt unter einer myſtiſchen Maurergilde. Ein
weißgewaſchener Lappen, der mit dem bloßen,
altdeutſchen Halſe tiefbedeutſam kontraſtirte, be¬
deckte den Kragen dieſes famoſen Rockes, aus
ſeinen langen Aermeln hingen lange ſchmutzige
Haͤnde, zwiſchen dieſen zeigte ſich ein lang¬
weiliger Leib, woran wieder zwei kurzweilige
Beine ſchlotterten — die ganze Geſtalt war
eine katzenjaͤmmerliche Parodie des Apoll von
Belvedere.

Und des iſt der Demagog des neuen
Athens? frug ſpottlaͤchelnd der Berliner. Du
juter Jott, des iſt ja ein Landsmann von mich!
Ich traue kaum meinen leiblichen Augen — des
iſt ja derjenige welcher — Ne, des iſt die
Moͤglichkeit!

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0035" n="27"/>
und de&#x017F;&#x017F;en Urform &#x017F;ich unter einer patrioti&#x017F;chen<lb/>
Schneiderge&#x017F;ell&#x017F;chaft eben &#x017F;o geheimnißvoll traditio¬<lb/>
nel erhalten hat, wie ein&#x017F;t die gothi&#x017F;che Bau¬<lb/>
kun&#x017F;t unter einer my&#x017F;ti&#x017F;chen Maurergilde. Ein<lb/>
weißgewa&#x017F;chener Lappen, der mit dem bloßen,<lb/>
altdeut&#x017F;chen Hal&#x017F;e tiefbedeut&#x017F;am kontra&#x017F;tirte, be¬<lb/>
deckte den Kragen die&#x017F;es famo&#x017F;en Rockes, aus<lb/>
&#x017F;einen langen Aermeln hingen lange &#x017F;chmutzige<lb/>
Ha&#x0364;nde, zwi&#x017F;chen die&#x017F;en zeigte &#x017F;ich ein lang¬<lb/>
weiliger Leib, woran wieder zwei kurzweilige<lb/>
Beine &#x017F;chlotterten &#x2014; die ganze Ge&#x017F;talt war<lb/>
eine katzenja&#x0364;mmerliche Parodie des Apoll von<lb/>
Belvedere.</p><lb/>
          <p>Und des i&#x017F;t der Demagog des neuen<lb/>
Athens? frug &#x017F;pottla&#x0364;chelnd der Berliner. Du<lb/>
juter Jott, des i&#x017F;t ja ein Landsmann von mich!<lb/>
Ich traue kaum meinen leiblichen Augen &#x2014; des<lb/>
i&#x017F;t ja derjenige welcher &#x2014; Ne, des i&#x017F;t die<lb/>
Mo&#x0364;glichkeit!</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[27/0035] und deſſen Urform ſich unter einer patriotiſchen Schneidergeſellſchaft eben ſo geheimnißvoll traditio¬ nel erhalten hat, wie einſt die gothiſche Bau¬ kunſt unter einer myſtiſchen Maurergilde. Ein weißgewaſchener Lappen, der mit dem bloßen, altdeutſchen Halſe tiefbedeutſam kontraſtirte, be¬ deckte den Kragen dieſes famoſen Rockes, aus ſeinen langen Aermeln hingen lange ſchmutzige Haͤnde, zwiſchen dieſen zeigte ſich ein lang¬ weiliger Leib, woran wieder zwei kurzweilige Beine ſchlotterten — die ganze Geſtalt war eine katzenjaͤmmerliche Parodie des Apoll von Belvedere. Und des iſt der Demagog des neuen Athens? frug ſpottlaͤchelnd der Berliner. Du juter Jott, des iſt ja ein Landsmann von mich! Ich traue kaum meinen leiblichen Augen — des iſt ja derjenige welcher — Ne, des iſt die Moͤglichkeit!

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder03_1830
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder03_1830/35
Zitationshilfe: Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 3. Hamburg, 1830, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder03_1830/35>, abgerufen am 09.11.2024.