Sohn Albions, obgleich er weiße Wäsche trägt und alles baar bezahlt, ist doch ein civilisirter Barbar, in Vergleichung mit dem Italiener, der vielmehr eine in Barbarey übergehende Civi¬ lisazion bekundet. Jener zeigt in seinen Sitten eine zurückgehaltene Rohheit, dieser eine ausge¬ lassene Feinheit. Und gar die blassen italienischen Gesichter, in den Augen das leidende Weiß, die Lippen krankhaft zärtlich, wie heimlich vornehm sind sie gegen die steif brittischen Gesichter, mit ihrer pöbelhaft rothen Gesundheit! Das ganze italienische Volk ist innerlich krank, und kranke Menschen sind immer wahrhaft vor¬ nehmer als Gesunde; denn nur der kranke Mensch ist ein Mensch, seine Glieder haben eine Leidens¬ geschichte, sie sind durchgeistet. Ich glaube so¬ gar, durch Leidenskämpfe könnten die Thiere zu Menschen werden; ich habe mal einen sterben¬ den Hund gesehen, der in seinen Todesqualen mich fast menschlich ansah.
Sohn Albions, obgleich er weiße Waͤſche traͤgt und alles baar bezahlt, iſt doch ein civiliſirter Barbar, in Vergleichung mit dem Italiener, der vielmehr eine in Barbarey uͤbergehende Civi¬ liſazion bekundet. Jener zeigt in ſeinen Sitten eine zuruͤckgehaltene Rohheit, dieſer eine ausge¬ laſſene Feinheit. Und gar die blaſſen italieniſchen Geſichter, in den Augen das leidende Weiß, die Lippen krankhaft zaͤrtlich, wie heimlich vornehm ſind ſie gegen die ſteif brittiſchen Geſichter, mit ihrer poͤbelhaft rothen Geſundheit! Das ganze italieniſche Volk iſt innerlich krank, und kranke Menſchen ſind immer wahrhaft vor¬ nehmer als Geſunde; denn nur der kranke Menſch iſt ein Menſch, ſeine Glieder haben eine Leidens¬ geſchichte, ſie ſind durchgeiſtet. Ich glaube ſo¬ gar, durch Leidenskaͤmpfe koͤnnten die Thiere zu Menſchen werden; ich habe mal einen ſterben¬ den Hund geſehen, der in ſeinen Todesqualen mich faſt menſchlich anſah.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0173"n="165"/>
Sohn Albions, obgleich er weiße Waͤſche traͤgt<lb/>
und alles baar bezahlt, iſt doch ein civiliſirter<lb/>
Barbar, in Vergleichung mit dem Italiener,<lb/>
der vielmehr eine in Barbarey uͤbergehende Civi¬<lb/>
liſazion bekundet. Jener zeigt in ſeinen Sitten<lb/>
eine zuruͤckgehaltene Rohheit, dieſer eine ausge¬<lb/>
laſſene Feinheit. Und gar die blaſſen italieniſchen<lb/>
Geſichter, in den Augen das leidende Weiß,<lb/>
die Lippen krankhaft zaͤrtlich, wie heimlich<lb/>
vornehm ſind ſie gegen die ſteif brittiſchen<lb/>
Geſichter, mit ihrer poͤbelhaft rothen Geſundheit!<lb/>
Das ganze italieniſche Volk iſt innerlich krank,<lb/>
und kranke Menſchen ſind immer wahrhaft vor¬<lb/>
nehmer als Geſunde; denn nur der kranke Menſch<lb/>
iſt ein Menſch, ſeine Glieder haben eine Leidens¬<lb/>
geſchichte, ſie ſind durchgeiſtet. Ich glaube ſo¬<lb/>
gar, durch Leidenskaͤmpfe koͤnnten die Thiere zu<lb/>
Menſchen werden; ich habe mal einen ſterben¬<lb/>
den Hund geſehen, der in ſeinen Todesqualen<lb/>
mich faſt menſchlich anſah.</p><lb/></div></div></body></text></TEI>
[165/0173]
Sohn Albions, obgleich er weiße Waͤſche traͤgt
und alles baar bezahlt, iſt doch ein civiliſirter
Barbar, in Vergleichung mit dem Italiener,
der vielmehr eine in Barbarey uͤbergehende Civi¬
liſazion bekundet. Jener zeigt in ſeinen Sitten
eine zuruͤckgehaltene Rohheit, dieſer eine ausge¬
laſſene Feinheit. Und gar die blaſſen italieniſchen
Geſichter, in den Augen das leidende Weiß,
die Lippen krankhaft zaͤrtlich, wie heimlich
vornehm ſind ſie gegen die ſteif brittiſchen
Geſichter, mit ihrer poͤbelhaft rothen Geſundheit!
Das ganze italieniſche Volk iſt innerlich krank,
und kranke Menſchen ſind immer wahrhaft vor¬
nehmer als Geſunde; denn nur der kranke Menſch
iſt ein Menſch, ſeine Glieder haben eine Leidens¬
geſchichte, ſie ſind durchgeiſtet. Ich glaube ſo¬
gar, durch Leidenskaͤmpfe koͤnnten die Thiere zu
Menſchen werden; ich habe mal einen ſterben¬
den Hund geſehen, der in ſeinen Todesqualen
mich faſt menſchlich anſah.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 3. Hamburg, 1830, S. 165. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder03_1830/173>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.