kömmt auch neue Augen, und sieht gar viel Neues in den alten Geisteswerken. Ein Schu¬ barth sieht jetzt in der Ilias etwas anderes und viel mehr, als sämmtliche Alexandriner; dagegen werden einst Kritiker kommen, die viel mehr als Schubarth in Goethe sehen.
So hätte ich mich dennoch an Goethe fest¬ geschwatzt! Aber solche Abschweifungen sind sehr natürlich, wenn einem, wie auf dieser Insel, beständig das Meergeräusch in die Ohren dröhnt und den Geist nach Belieben stimmt.
Es geht ein starker Nordostwind, und die Hexen haben wieder viel Unheil im Sinne. Man hegt hier nämlich wunderliche Sagen von Hexen, die den Sturm zu beschwören wissen; wie es denn überhaupt auf allen nordischen Meeren viel Aberglauben giebt. Die Seeleute behaupten, manche Insel stehe unter der gehei¬ men Herrschaft ganz besonderer Hexen, und dem bösen Willen derselben sey es zuzuschrei¬ ben, wenn den vorbeyfahrenden Schiffen aller¬
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koͤmmt auch neue Augen, und ſieht gar viel Neues in den alten Geiſteswerken. Ein Schu¬ barth ſieht jetzt in der Ilias etwas anderes und viel mehr, als ſaͤmmtliche Alexandriner; dagegen werden einſt Kritiker kommen, die viel mehr als Schubarth in Goethe ſehen.
So haͤtte ich mich dennoch an Goethe feſt¬ geſchwatzt! Aber ſolche Abſchweifungen ſind ſehr natuͤrlich, wenn einem, wie auf dieſer Inſel, beſtaͤndig das Meergeraͤuſch in die Ohren droͤhnt und den Geiſt nach Belieben ſtimmt.
Es geht ein ſtarker Nordoſtwind, und die Hexen haben wieder viel Unheil im Sinne. Man hegt hier naͤmlich wunderliche Sagen von Hexen, die den Sturm zu beſchwoͤren wiſſen; wie es denn uͤberhaupt auf allen nordiſchen Meeren viel Aberglauben giebt. Die Seeleute behaupten, manche Inſel ſtehe unter der gehei¬ men Herrſchaft ganz beſonderer Hexen, und dem boͤſen Willen derſelben ſey es zuzuſchrei¬ ben, wenn den vorbeyfahrenden Schiffen aller¬
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koͤmmt auch neue Augen, und ſieht gar viel
Neues in den alten Geiſteswerken. Ein Schu¬
barth ſieht jetzt in der Ilias etwas anderes
und viel mehr, als ſaͤmmtliche Alexandriner;
dagegen werden einſt Kritiker kommen, die viel
mehr als Schubarth in Goethe ſehen.
So haͤtte ich mich dennoch an Goethe feſt¬
geſchwatzt! Aber ſolche Abſchweifungen ſind ſehr
natuͤrlich, wenn einem, wie auf dieſer Inſel,
beſtaͤndig das Meergeraͤuſch in die Ohren droͤhnt
und den Geiſt nach Belieben ſtimmt.
Es geht ein ſtarker Nordoſtwind, und die
Hexen haben wieder viel Unheil im Sinne.
Man hegt hier naͤmlich wunderliche Sagen von
Hexen, die den Sturm zu beſchwoͤren wiſſen;
wie es denn uͤberhaupt auf allen nordiſchen
Meeren viel Aberglauben giebt. Die Seeleute
behaupten, manche Inſel ſtehe unter der gehei¬
men Herrſchaft ganz beſonderer Hexen, und
dem boͤſen Willen derſelben ſey es zuzuſchrei¬
ben, wenn den vorbeyfahrenden Schiffen aller¬
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Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 2. Hamburg, 1827, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder02_1827/73>, abgerufen am 24.11.2024.
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