Sie sehen, Madame, ich kann alle Men¬ schen gebrauchen, und der Adreßkalender ist eigentlich mein Hausinventarium. Ich kann daher auch nie Bankerott werden, denn meine Gläubiger selbst würde ich in Erwerbsquellen verwandeln. Außerdem, wie gesagt, lebe ich wirklich sehr ökonomisch, verdammt ökonomisch. z. B. Während ich dieses schreibe, sitze ich in einer dunkeln, betrübten Stube auf der Düster¬ straße -- aber, ich ertrage es gern, ich könnte ja, wenn ich nur wollte, im schönsten Garten sitzen, eben so gut wie meine Freunde und Lie¬ ben; ich brauchte nur meine Schnapsklienten zu realisiren. Diese letzteren, Madame, bestehen aus verdorbenen Friseuren, heruntergekomme¬ nen Kupplern, Speisewirthen, die selbst nichts mehr zu essen haben, lauter Lumpen, die meine Wohnung zu finden wissen, und für ein wirk¬ liches Trinkgeld mir die Chronique scandaleuse ihres Stadtviertels erzählen -- Madame, Sie wundern sich, daß ich solches Volk nicht ein
Sie ſehen, Madame, ich kann alle Men¬ ſchen gebrauchen, und der Adreßkalender iſt eigentlich mein Hausinventarium. Ich kann daher auch nie Bankerott werden, denn meine Glaͤubiger ſelbſt wuͤrde ich in Erwerbsquellen verwandeln. Außerdem, wie geſagt, lebe ich wirklich ſehr oͤkonomiſch, verdammt oͤkonomiſch. z. B. Waͤhrend ich dieſes ſchreibe, ſitze ich in einer dunkeln, betruͤbten Stube auf der Duͤſter¬ ſtraße — aber, ich ertrage es gern, ich koͤnnte ja, wenn ich nur wollte, im ſchoͤnſten Garten ſitzen, eben ſo gut wie meine Freunde und Lie¬ ben; ich brauchte nur meine Schnapsklienten zu realiſiren. Dieſe letzteren, Madame, beſtehen aus verdorbenen Friſeuren, heruntergekomme¬ nen Kupplern, Speiſewirthen, die ſelbſt nichts mehr zu eſſen haben, lauter Lumpen, die meine Wohnung zu finden wiſſen, und fuͤr ein wirk¬ liches Trinkgeld mir die Chronique ſcandaleuſe ihres Stadtviertels erzaͤhlen — Madame, Sie wundern ſich, daß ich ſolches Volk nicht ein
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Sie ſehen, Madame, ich kann alle Men¬
ſchen gebrauchen, und der Adreßkalender iſt
eigentlich mein Hausinventarium. Ich kann
daher auch nie Bankerott werden, denn meine
Glaͤubiger ſelbſt wuͤrde ich in Erwerbsquellen
verwandeln. Außerdem, wie geſagt, lebe ich
wirklich ſehr oͤkonomiſch, verdammt oͤkonomiſch.
z. B. Waͤhrend ich dieſes ſchreibe, ſitze ich in
einer dunkeln, betruͤbten Stube auf der Duͤſter¬
ſtraße — aber, ich ertrage es gern, ich koͤnnte
ja, wenn ich nur wollte, im ſchoͤnſten Garten
ſitzen, eben ſo gut wie meine Freunde und Lie¬
ben; ich brauchte nur meine Schnapsklienten zu
realiſiren. Dieſe letzteren, Madame, beſtehen
aus verdorbenen Friſeuren, heruntergekomme¬
nen Kupplern, Speiſewirthen, die ſelbſt nichts
mehr zu eſſen haben, lauter Lumpen, die meine
Wohnung zu finden wiſſen, und fuͤr ein wirk¬
liches Trinkgeld mir die Chronique ſcandaleuſe
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Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 2. Hamburg, 1827, S. 255. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder02_1827/263>, abgerufen am 25.11.2024.
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