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Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 2. Hamburg, 1827.

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ich auch schreiben ohne diese fromme Zuversicht,
in meinem Zimmer steht jetzt der Bursche aus
der Langhoffschen Druckerey und wartet auf
Manuscript, das kaumgeborene Wort wandert
warm und naß in die Presse, und was ich in
diesem Augenblick denke und fühle, kann mor¬
gen Mittag schon Makulatur seyn. -- Sie
haben leicht reden, Madame, wenn Sie mich
an das Horazische nonum prematur in annum
erinnern. Diese Regel mag, wie manche an¬
dere der Art, sehr gut in der Theorie gelten,
aber in der Praxis taugt sie nichts. Als Horaz
dem Autor die berühmte Regel gab, sein
Werk neun Jahre im Pult liegen zu lassen,
hätte er ihm auch zu gleicher Zeit das Recept
geben sollen, wie man neun Jahre ohne Essen
zubringen kann. Als Horaz diese Regel ersann,
saß er vielleicht an der Tafel des Mäcenas und
aß Truthähne mit Trüffeln, Fasanenpudding in
Wildpretsauce, Lerchenrippchen mit teltower
Rübchen, Pfauenzungen, indianische Vogelne¬

ich auch ſchreiben ohne dieſe fromme Zuverſicht,
in meinem Zimmer ſteht jetzt der Burſche aus
der Langhoffſchen Druckerey und wartet auf
Manuſcript, das kaumgeborene Wort wandert
warm und naß in die Preſſe, und was ich in
dieſem Augenblick denke und fuͤhle, kann mor¬
gen Mittag ſchon Makulatur ſeyn. — Sie
haben leicht reden, Madame, wenn Sie mich
an das Horaziſche nonum prematur in annum
erinnern. Dieſe Regel mag, wie manche an¬
dere der Art, ſehr gut in der Theorie gelten,
aber in der Praxis taugt ſie nichts. Als Horaz
dem Autor die beruͤhmte Regel gab, ſein
Werk neun Jahre im Pult liegen zu laſſen,
haͤtte er ihm auch zu gleicher Zeit das Recept
geben ſollen, wie man neun Jahre ohne Eſſen
zubringen kann. Als Horaz dieſe Regel erſann,
ſaß er vielleicht an der Tafel des Maͤcenas und
aß Truthaͤhne mit Truͤffeln, Faſanenpudding in
Wildpretſauce, Lerchenrippchen mit teltower
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[246/0254] ich auch ſchreiben ohne dieſe fromme Zuverſicht, in meinem Zimmer ſteht jetzt der Burſche aus der Langhoffſchen Druckerey und wartet auf Manuſcript, das kaumgeborene Wort wandert warm und naß in die Preſſe, und was ich in dieſem Augenblick denke und fuͤhle, kann mor¬ gen Mittag ſchon Makulatur ſeyn. — Sie haben leicht reden, Madame, wenn Sie mich an das Horaziſche nonum prematur in annum erinnern. Dieſe Regel mag, wie manche an¬ dere der Art, ſehr gut in der Theorie gelten, aber in der Praxis taugt ſie nichts. Als Horaz dem Autor die beruͤhmte Regel gab, ſein Werk neun Jahre im Pult liegen zu laſſen, haͤtte er ihm auch zu gleicher Zeit das Recept geben ſollen, wie man neun Jahre ohne Eſſen zubringen kann. Als Horaz dieſe Regel erſann, ſaß er vielleicht an der Tafel des Maͤcenas und aß Truthaͤhne mit Truͤffeln, Faſanenpudding in Wildpretſauce, Lerchenrippchen mit teltower Ruͤbchen, Pfauenzungen, indianiſche Vogelne¬

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Zitationshilfe: Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 2. Hamburg, 1827, S. 246. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder02_1827/254>, abgerufen am 25.11.2024.