Auch in der Mythologie ging es gut. Ich hatte meine liebe Freude an dem Göttergesindel, das so lustig nackt die Welt regierte. Ich glaube nicht, daß jemals ein Schulknabe im alten Rom die Hauptartikel seines Katechismus, z. B. die Liebschaften der Venus, besser auswendig gelernt hat, als ich. Aufrichtig gestanden, da wir doch einmal die alten Götter auswendig lernen mußten, so hätten wir sie auch behalten sollen, und wir haben vielleicht nicht viel Vortheil bey unserer neurömischen Dreygötterey, oder gar bey unserem jüdischen Eingötzenthum. Vielleicht war jene Mythologie im Grunde nicht so un¬ moralisch, wie man sie verschrieen hat; es ist z. B. ein sehr anständiger Gedanke des Ho¬ mers, daß er jener vielbeliebten Venus einen Gemahl zur Seite gab.
Am allerbesten aber erging es mir in der fran¬ zösischen Classe des Abbe d'Aulnoi, eines emigrir¬ ten Franzosen, der eine Menge Grammatiken
Auch in der Mythologie ging es gut. Ich hatte meine liebe Freude an dem Goͤttergeſindel, das ſo luſtig nackt die Welt regierte. Ich glaube nicht, daß jemals ein Schulknabe im alten Rom die Hauptartikel ſeines Katechismus, z. B. die Liebſchaften der Venus, beſſer auswendig gelernt hat, als ich. Aufrichtig geſtanden, da wir doch einmal die alten Goͤtter auswendig lernen mußten, ſo haͤtten wir ſie auch behalten ſollen, und wir haben vielleicht nicht viel Vortheil bey unſerer neuroͤmiſchen Dreygoͤtterey, oder gar bey unſerem juͤdiſchen Eingoͤtzenthum. Vielleicht war jene Mythologie im Grunde nicht ſo un¬ moraliſch, wie man ſie verſchrieen hat; es iſt z. B. ein ſehr anſtaͤndiger Gedanke des Ho¬ mers, daß er jener vielbeliebten Venus einen Gemahl zur Seite gab.
Am allerbeſten aber erging es mir in der fran¬ zoͤſiſchen Claſſe des Abbé d'Aulnoi, eines emigrir¬ ten Franzoſen, der eine Menge Grammatiken
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Auch in der Mythologie ging es gut. Ich
hatte meine liebe Freude an dem Goͤttergeſindel,
das ſo luſtig nackt die Welt regierte. Ich glaube
nicht, daß jemals ein Schulknabe im alten Rom
die Hauptartikel ſeines Katechismus, z. B. die
Liebſchaften der Venus, beſſer auswendig gelernt
hat, als ich. Aufrichtig geſtanden, da wir
doch einmal die alten Goͤtter auswendig lernen
mußten, ſo haͤtten wir ſie auch behalten ſollen,
und wir haben vielleicht nicht viel Vortheil bey
unſerer neuroͤmiſchen Dreygoͤtterey, oder gar bey
unſerem juͤdiſchen Eingoͤtzenthum. Vielleicht
war jene Mythologie im Grunde nicht ſo un¬
moraliſch, wie man ſie verſchrieen hat; es iſt
z. B. ein ſehr anſtaͤndiger Gedanke des Ho¬
mers, daß er jener vielbeliebten Venus einen
Gemahl zur Seite gab.
Am allerbeſten aber erging es mir in der fran¬
zoͤſiſchen Claſſe des Abbé d'Aulnoi, eines emigrir¬
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Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 2. Hamburg, 1827, S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder02_1827/198>, abgerufen am 22.11.2024.
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