junge Herr v. Geldern, die beide so berühmte Doctoren waren, und so viele Menschen vom Tode kurirt, und doch selber sterben mußten. Und die fromme Ursula, die mich als Kind auf den Armen getragen, liegt auch dort be¬ graben, und es wächst ein Rosenstrauch auf ihrem Grab -- Rosenduft liebte sie so sehr im Leben und ihr Herz war lauter Rosenduft und Güte. Auch der alte kluge Canonicus liegt dort begraben. Gott, wie elend sah er aus, als ich ihn zuletzt sah! Er bestand nur noch aus Geist und Pflastern, und studirte den¬ noch Tag und Nacht, als wenn er besorgte, die Würmer möchten einige Ideen zu wenig in seinem Kopfe finden. Auch der kleine Wil¬ helm liegt dort, und daran bin ich schuld. Wir waren Schulkameraden im Franziskaner¬ kloster und spielten auf jener Seite desselben, wo zwischen steinernen Mauern die Düssel fließt, und ich sagte: "Wilhelm! hol' doch das Kätzchen, das eben hineingefallen" -- und lustig
junge Herr v. Geldern, die beide ſo beruͤhmte Doctoren waren, und ſo viele Menſchen vom Tode kurirt, und doch ſelber ſterben mußten. Und die fromme Urſula, die mich als Kind auf den Armen getragen, liegt auch dort be¬ graben, und es waͤchſt ein Roſenſtrauch auf ihrem Grab — Roſenduft liebte ſie ſo ſehr im Leben und ihr Herz war lauter Roſenduft und Guͤte. Auch der alte kluge Canonicus liegt dort begraben. Gott, wie elend ſah er aus, als ich ihn zuletzt ſah! Er beſtand nur noch aus Geiſt und Pflaſtern, und ſtudirte den¬ noch Tag und Nacht, als wenn er beſorgte, die Wuͤrmer moͤchten einige Ideen zu wenig in ſeinem Kopfe finden. Auch der kleine Wil¬ helm liegt dort, und daran bin ich ſchuld. Wir waren Schulkameraden im Franziskaner¬ kloſter und ſpielten auf jener Seite deſſelben, wo zwiſchen ſteinernen Mauern die Duͤſſel fließt, und ich ſagte: „Wilhelm! hol' doch das Kaͤtzchen, das eben hineingefallen“ — und luſtig
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junge Herr v. Geldern, die beide ſo beruͤhmte
Doctoren waren, und ſo viele Menſchen vom
Tode kurirt, und doch ſelber ſterben mußten.
Und die fromme Urſula, die mich als Kind
auf den Armen getragen, liegt auch dort be¬
graben, und es waͤchſt ein Roſenſtrauch auf
ihrem Grab — Roſenduft liebte ſie ſo ſehr
im Leben und ihr Herz war lauter Roſenduft
und Guͤte. Auch der alte kluge Canonicus
liegt dort begraben. Gott, wie elend ſah er
aus, als ich ihn zuletzt ſah! Er beſtand nur
noch aus Geiſt und Pflaſtern, und ſtudirte den¬
noch Tag und Nacht, als wenn er beſorgte,
die Wuͤrmer moͤchten einige Ideen zu wenig in
ſeinem Kopfe finden. Auch der kleine Wil¬
helm liegt dort, und daran bin ich ſchuld.
Wir waren Schulkameraden im Franziskaner¬
kloſter und ſpielten auf jener Seite deſſelben,
wo zwiſchen ſteinernen Mauern die Duͤſſel
fließt, und ich ſagte: „Wilhelm! hol' doch das
Kaͤtzchen, das eben hineingefallen“ — und luſtig
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Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 2. Hamburg, 1827, S. 167. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder02_1827/175>, abgerufen am 22.11.2024.
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