muß seine Federn erst ausschreiben, man muß es anspornen u. s. w. In solcher Art haben wir auch unsere öffentlichen Assisen, und das sind die löschpapiernen, sächsischen Literaturzeitungen, worin jeder Dummkopf von seines Gleichen ge¬ richtet wird, nach den Grundsätzen eines litera¬ rischen Criminalrechts, das der Abschreckungs¬ theorie huldigt, und, als ein Verbrechen jedes Buch bestraft. Zeigt der Verfasser desselben etwas Geist, so ist das Verbrechen qualifizirt. Kann er aber sein Geistesalibi beweisen, so wird die Strafe gemildert. Freylich, bey dieser literari¬ schen Criminaljustiz ist es ebenfalls ein großes Gebrechen, daß dem richterlichen Ermessen so viel überlassen bleibt, um so mehr, da unsere Bücherrichter, eben so wie Fallstaff, sich ihre Gründe nicht abzwingen lassen, und manchmal selbst geheime Sünder sind und voraussehen, daß sie morgen von denselben Deliquenten gerichtet werden, über die sie heute das Urtheil sprechen. Die Jugend ist in unserer literarischen Criminal¬
8
muß ſeine Federn erſt ausſchreiben, man muß es anſpornen u. ſ. w. In ſolcher Art haben wir auch unſere oͤffentlichen Aſſiſen, und das ſind die loͤſchpapiernen, ſaͤchſiſchen Literaturzeitungen, worin jeder Dummkopf von ſeines Gleichen ge¬ richtet wird, nach den Grundſaͤtzen eines litera¬ riſchen Criminalrechts, das der Abſchreckungs¬ theorie huldigt, und, als ein Verbrechen jedes Buch beſtraft. Zeigt der Verfaſſer deſſelben etwas Geiſt, ſo iſt das Verbrechen qualifizirt. Kann er aber ſein Geiſtesalibi beweiſen, ſo wird die Strafe gemildert. Freylich, bey dieſer literari¬ ſchen Criminaljuſtiz iſt es ebenfalls ein großes Gebrechen, daß dem richterlichen Ermeſſen ſo viel uͤberlaſſen bleibt, um ſo mehr, da unſere Buͤcherrichter, eben ſo wie Fallſtaff, ſich ihre Gruͤnde nicht abzwingen laſſen, und manchmal ſelbſt geheime Suͤnder ſind und vorausſehen, daß ſie morgen von denſelben Deliquenten gerichtet werden, uͤber die ſie heute das Urtheil ſprechen. Die Jugend iſt in unſerer literariſchen Criminal¬
8
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0121"n="113"/>
muß ſeine Federn erſt ausſchreiben, man muß es<lb/>
anſpornen u. ſ. w. In ſolcher Art haben wir<lb/>
auch unſere oͤffentlichen Aſſiſen, und das ſind die<lb/>
loͤſchpapiernen, ſaͤchſiſchen Literaturzeitungen,<lb/>
worin jeder Dummkopf von ſeines Gleichen ge¬<lb/>
richtet wird, nach den Grundſaͤtzen eines litera¬<lb/>
riſchen Criminalrechts, das der Abſchreckungs¬<lb/>
theorie huldigt, und, als ein Verbrechen jedes<lb/>
Buch beſtraft. Zeigt der Verfaſſer deſſelben etwas<lb/>
Geiſt, ſo iſt das Verbrechen qualifizirt. Kann<lb/>
er aber ſein Geiſtesalibi beweiſen, ſo wird die<lb/>
Strafe gemildert. Freylich, bey dieſer literari¬<lb/>ſchen Criminaljuſtiz iſt es ebenfalls ein großes<lb/>
Gebrechen, daß dem richterlichen Ermeſſen ſo<lb/>
viel uͤberlaſſen bleibt, um ſo mehr, da unſere<lb/>
Buͤcherrichter, eben ſo wie Fallſtaff, ſich ihre<lb/>
Gruͤnde nicht abzwingen laſſen, und manchmal<lb/>ſelbſt geheime Suͤnder ſind und vorausſehen, daß<lb/>ſie morgen von denſelben Deliquenten gerichtet<lb/>
werden, uͤber die ſie heute das Urtheil ſprechen.<lb/>
Die Jugend iſt in unſerer literariſchen Criminal¬<lb/><fwplace="bottom"type="sig">8<lb/></fw></p></div></div></body></text></TEI>
[113/0121]
muß ſeine Federn erſt ausſchreiben, man muß es
anſpornen u. ſ. w. In ſolcher Art haben wir
auch unſere oͤffentlichen Aſſiſen, und das ſind die
loͤſchpapiernen, ſaͤchſiſchen Literaturzeitungen,
worin jeder Dummkopf von ſeines Gleichen ge¬
richtet wird, nach den Grundſaͤtzen eines litera¬
riſchen Criminalrechts, das der Abſchreckungs¬
theorie huldigt, und, als ein Verbrechen jedes
Buch beſtraft. Zeigt der Verfaſſer deſſelben etwas
Geiſt, ſo iſt das Verbrechen qualifizirt. Kann
er aber ſein Geiſtesalibi beweiſen, ſo wird die
Strafe gemildert. Freylich, bey dieſer literari¬
ſchen Criminaljuſtiz iſt es ebenfalls ein großes
Gebrechen, daß dem richterlichen Ermeſſen ſo
viel uͤberlaſſen bleibt, um ſo mehr, da unſere
Buͤcherrichter, eben ſo wie Fallſtaff, ſich ihre
Gruͤnde nicht abzwingen laſſen, und manchmal
ſelbſt geheime Suͤnder ſind und vorausſehen, daß
ſie morgen von denſelben Deliquenten gerichtet
werden, uͤber die ſie heute das Urtheil ſprechen.
Die Jugend iſt in unſerer literariſchen Criminal¬
8
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 2. Hamburg, 1827, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder02_1827/121>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.