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Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 2. Hamburg, 1827.

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nem Haupte ist der Olymp des Gedichtes, und
wenn ich ihn, in seiner äußeren Herrschererschei¬
nung, mit dem Agamemnon vergleiche, so geschieht
das, weil ihn, eben so wie den größten Theil
seiner herrlichen Kampfgenossen, ein tragisches
Schicksal erwartete, und weil sein Orestes noch
lebt.

Wie die Scottschen Dichtungen hat auch das
Segürsche Epos einen Ton, der unsere Herzen
bezwingt. Aber dieser Ton weckt nicht die Liebe
zu längst verschollenen Tagen der Vorzeit, son¬
dern es ist ein Ton, dessen Klangfigur uns die
Gegenwart giebt, ein Ton, der uns für eben
diese Gegenwart begeistert.

Wir Deutschen sind doch wahre Peter
Schlemiehle! Wir haben auch in der letzten
Zeit viel gesehen, viel ertragen, z. B. Einquar¬
tierung und Adelstolz; und wir haben unser edelstes
Blut hingegeben, z. B. an England, das noch
jetzt jährlich eine anständige Summe, für abge¬
schossene deutsche Arme und Beine, ihren ehe¬

nem Haupte iſt der Olymp des Gedichtes, und
wenn ich ihn, in ſeiner aͤußeren Herrſchererſchei¬
nung, mit dem Agamemnon vergleiche, ſo geſchieht
das, weil ihn, eben ſo wie den groͤßten Theil
ſeiner herrlichen Kampfgenoſſen, ein tragiſches
Schickſal erwartete, und weil ſein Oreſtes noch
lebt.

Wie die Scottſchen Dichtungen hat auch das
Seguͤrſche Epos einen Ton, der unſere Herzen
bezwingt. Aber dieſer Ton weckt nicht die Liebe
zu laͤngſt verſchollenen Tagen der Vorzeit, ſon¬
dern es iſt ein Ton, deſſen Klangfigur uns die
Gegenwart giebt, ein Ton, der uns fuͤr eben
dieſe Gegenwart begeiſtert.

Wir Deutſchen ſind doch wahre Peter
Schlemiehle! Wir haben auch in der letzten
Zeit viel geſehen, viel ertragen, z. B. Einquar¬
tierung und Adelſtolz; und wir haben unſer edelſtes
Blut hingegeben, z. B. an England, das noch
jetzt jaͤhrlich eine anſtaͤndige Summe, fuͤr abge¬
ſchoſſene deutſche Arme und Beine, ihren ehe¬

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[109/0117] nem Haupte iſt der Olymp des Gedichtes, und wenn ich ihn, in ſeiner aͤußeren Herrſchererſchei¬ nung, mit dem Agamemnon vergleiche, ſo geſchieht das, weil ihn, eben ſo wie den groͤßten Theil ſeiner herrlichen Kampfgenoſſen, ein tragiſches Schickſal erwartete, und weil ſein Oreſtes noch lebt. Wie die Scottſchen Dichtungen hat auch das Seguͤrſche Epos einen Ton, der unſere Herzen bezwingt. Aber dieſer Ton weckt nicht die Liebe zu laͤngſt verſchollenen Tagen der Vorzeit, ſon¬ dern es iſt ein Ton, deſſen Klangfigur uns die Gegenwart giebt, ein Ton, der uns fuͤr eben dieſe Gegenwart begeiſtert. Wir Deutſchen ſind doch wahre Peter Schlemiehle! Wir haben auch in der letzten Zeit viel geſehen, viel ertragen, z. B. Einquar¬ tierung und Adelſtolz; und wir haben unſer edelſtes Blut hingegeben, z. B. an England, das noch jetzt jaͤhrlich eine anſtaͤndige Summe, fuͤr abge¬ ſchoſſene deutſche Arme und Beine, ihren ehe¬

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Zitationshilfe: Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 2. Hamburg, 1827, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder02_1827/117>, abgerufen am 24.11.2024.