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Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 2. Hamburg, 1827.

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Feldzug jenes Ruhmes werden, den er mühsam
erworben durch eine Reihe historischer Romane,
die mehr durch ihr Thema, als durch ihre poetische
Kraft, alle Herzen Europas bewegt haben. Dieses
Thema ist aber nicht bloß eine elegische Klage über
Schottlands volksthümliche Herrlichkeit, die all¬
mählig verdrängt wurde von fremder Sitte,
Herrschaft und Denkweise; sondern es ist der
große Schmerz über den Verlust der Nazio¬
nal-Besonderheiten, die in der Allgemeinheit
neuerer Cultur verloren gehen, ein Schmerz, der
jetzt in den Herzen aller Völker zuckt. Denn
Nazionalerinnerungen liegen tiefer in der Men¬
schen Brust, als man gewöhnlich glaubt. Man
wage es nur, die alten Bilder wieder auszugra¬
ben, und über Nacht blüht hervor auch die alte
Liebe mit ihren Blumen. Das ist nicht figürlich
gesagt, sondern es ist eine Thatsache: als Bullock
vor einigen Jahren ein altheidnisches Steinbild
in Mexiko ausgegraben, fand er den andern
Tag, daß es nächtlicher Weile mit Blumen be¬

Feldzug jenes Ruhmes werden, den er muͤhſam
erworben durch eine Reihe hiſtoriſcher Romane,
die mehr durch ihr Thema, als durch ihre poetiſche
Kraft, alle Herzen Europas bewegt haben. Dieſes
Thema iſt aber nicht bloß eine elegiſche Klage uͤber
Schottlands volksthuͤmliche Herrlichkeit, die all¬
maͤhlig verdraͤngt wurde von fremder Sitte,
Herrſchaft und Denkweiſe; ſondern es iſt der
große Schmerz uͤber den Verluſt der Nazio¬
nal-Beſonderheiten, die in der Allgemeinheit
neuerer Cultur verloren gehen, ein Schmerz, der
jetzt in den Herzen aller Voͤlker zuckt. Denn
Nazionalerinnerungen liegen tiefer in der Men¬
ſchen Bruſt, als man gewoͤhnlich glaubt. Man
wage es nur, die alten Bilder wieder auszugra¬
ben, und uͤber Nacht bluͤht hervor auch die alte
Liebe mit ihren Blumen. Das iſt nicht figuͤrlich
geſagt, ſondern es iſt eine Thatſache: als Bullock
vor einigen Jahren ein altheidniſches Steinbild
in Mexiko ausgegraben, fand er den andern
Tag, daß es naͤchtlicher Weile mit Blumen be¬

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[100/0108] Feldzug jenes Ruhmes werden, den er muͤhſam erworben durch eine Reihe hiſtoriſcher Romane, die mehr durch ihr Thema, als durch ihre poetiſche Kraft, alle Herzen Europas bewegt haben. Dieſes Thema iſt aber nicht bloß eine elegiſche Klage uͤber Schottlands volksthuͤmliche Herrlichkeit, die all¬ maͤhlig verdraͤngt wurde von fremder Sitte, Herrſchaft und Denkweiſe; ſondern es iſt der große Schmerz uͤber den Verluſt der Nazio¬ nal-Beſonderheiten, die in der Allgemeinheit neuerer Cultur verloren gehen, ein Schmerz, der jetzt in den Herzen aller Voͤlker zuckt. Denn Nazionalerinnerungen liegen tiefer in der Men¬ ſchen Bruſt, als man gewoͤhnlich glaubt. Man wage es nur, die alten Bilder wieder auszugra¬ ben, und uͤber Nacht bluͤht hervor auch die alte Liebe mit ihren Blumen. Das iſt nicht figuͤrlich geſagt, ſondern es iſt eine Thatſache: als Bullock vor einigen Jahren ein altheidniſches Steinbild in Mexiko ausgegraben, fand er den andern Tag, daß es naͤchtlicher Weile mit Blumen be¬

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Zitationshilfe: Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 2. Hamburg, 1827, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder02_1827/108>, abgerufen am 23.11.2024.