Seh' ich die bunte Schellenkappe sitzen; Und Fratzenbilder nur und sieche Schatten Seh' ich auf dieser Erde, und ich weiß nicht, Ist sie ein Tollhaus oder Krankenhaus. Ich sehe durch den Grund der alten Erde, Als sey sie von Kristall, und seh' das Grausen, Das mit dem freud'gen Grüne zu bedecken Der May vergeblich strebt. Ich seh' die Todten, Sie liegen unten in den schmalen Särgen, Die Händ' gefaltet und die Augen offen, Weiß das Gewand und weiß das Angesicht, Und durch die gelben Lippen kriechen Würmer. Ich seh', der Sohn setzt sich mit seiner Buhle Zur Kurzweil nieder auf des Vaters Grab; Spottlieder singen rings die Nachtigallen, Die sanften Wiesenblümchen lachen hämisch, Der todte Vater regt sich in dem Grab', Und schmerzhaft zuckt die alte Mutter Erde.
Du arme Erde, deine Schmerzen kenn' ich! Ich seh' die Gluth in deinem Busen wühlen,
Seh' ich die bunte Schellenkappe ſitzen; Und Fratzenbilder nur und ſieche Schatten Seh' ich auf dieſer Erde, und ich weiß nicht, Iſt ſie ein Tollhaus oder Krankenhaus. Ich ſehe durch den Grund der alten Erde, Als ſey ſie von Kriſtall, und ſeh' das Grauſen, Das mit dem freud'gen Gruͤne zu bedecken Der May vergeblich ſtrebt. Ich ſeh' die Todten, Sie liegen unten in den ſchmalen Saͤrgen, Die Haͤnd' gefaltet und die Augen offen, Weiß das Gewand und weiß das Angeſicht, Und durch die gelben Lippen kriechen Wuͤrmer. Ich ſeh', der Sohn ſetzt ſich mit ſeiner Buhle Zur Kurzweil nieder auf des Vaters Grab; Spottlieder ſingen rings die Nachtigallen, Die ſanften Wieſenbluͤmchen lachen haͤmiſch, Der todte Vater regt ſich in dem Grab', Und ſchmerzhaft zuckt die alte Mutter Erde.
Du arme Erde, deine Schmerzen kenn' ich! Ich ſeh' die Gluth in deinem Buſen wuͤhlen,
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Seh' ich die bunte Schellenkappe ſitzen;
Und Fratzenbilder nur und ſieche Schatten
Seh' ich auf dieſer Erde, und ich weiß nicht,
Iſt ſie ein Tollhaus oder Krankenhaus.
Ich ſehe durch den Grund der alten Erde,
Als ſey ſie von Kriſtall, und ſeh' das Grauſen,
Das mit dem freud'gen Gruͤne zu bedecken
Der May vergeblich ſtrebt. Ich ſeh' die Todten,
Sie liegen unten in den ſchmalen Saͤrgen,
Die Haͤnd' gefaltet und die Augen offen,
Weiß das Gewand und weiß das Angeſicht,
Und durch die gelben Lippen kriechen Wuͤrmer.
Ich ſeh', der Sohn ſetzt ſich mit ſeiner Buhle
Zur Kurzweil nieder auf des Vaters Grab;
Spottlieder ſingen rings die Nachtigallen,
Die ſanften Wieſenbluͤmchen lachen haͤmiſch,
Der todte Vater regt ſich in dem Grab',
Und ſchmerzhaft zuckt die alte Mutter Erde.
Du arme Erde, deine Schmerzen kenn' ich!
Ich ſeh' die Gluth in deinem Buſen wuͤhlen,
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Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 1. Hamburg, 1826, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder01_1826/95>, abgerufen am 23.11.2024.
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