Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 1. Hamburg, 1826.

Bild:
<< vorherige Seite
Die weiche Luna! Weiblich gesinnt,
Liebt sie noch immer den schönen Gemahl.
Gegen Abend, zitternd und bleich,
Lauscht sie hervor aus leichtem Gewölk,
Und schaut nach dem Scheidenden, schmerzlich,
Und möchte ihm ängstlich rufen: "Komm!
Komm! die Kinder verlangen nach Dir --"
Aber der trotzige Sonnengott,
Bey dem Anblick der Gattin, erglüht' er
In doppeltem Purpur,
Vor Zorn und Schmerz,
Und unerbittlich eilt er hinab
In sein fluthenkaltes Wittwerbett.

Böse, zischelnde Zungen
Brachten also Schmerz und Verderben
Selbst über ewige Götter.
Und die armen Götter, oben am Himmel
Die weiche Luna! Weiblich geſinnt,
Liebt ſie noch immer den ſchoͤnen Gemahl.
Gegen Abend, zitternd und bleich,
Lauſcht ſie hervor aus leichtem Gewoͤlk,
Und ſchaut nach dem Scheidenden, ſchmerzlich,
Und moͤchte ihm aͤngſtlich rufen: „Komm!
Komm! die Kinder verlangen nach Dir —“
Aber der trotzige Sonnengott,
Bey dem Anblick der Gattin, ergluͤht' er
In doppeltem Purpur,
Vor Zorn und Schmerz,
Und unerbittlich eilt er hinab
In ſein fluthenkaltes Wittwerbett.

Boͤſe, ziſchelnde Zungen
Brachten alſo Schmerz und Verderben
Selbſt uͤber ewige Goͤtter.
Und die armen Goͤtter, oben am Himmel
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <lg type="poem">
              <pb facs="#f0281" n="269"/>
              <lg n="5">
                <l>Die weiche Luna! Weiblich ge&#x017F;innt,</l><lb/>
                <l>Liebt &#x017F;ie noch immer den &#x017F;cho&#x0364;nen Gemahl.</l><lb/>
                <l>Gegen Abend, zitternd und bleich,</l><lb/>
                <l>Lau&#x017F;cht &#x017F;ie hervor aus leichtem Gewo&#x0364;lk,</l><lb/>
                <l>Und &#x017F;chaut nach dem Scheidenden, &#x017F;chmerzlich,</l><lb/>
                <l>Und mo&#x0364;chte ihm a&#x0364;ng&#x017F;tlich rufen: &#x201E;Komm!</l><lb/>
                <l>Komm! die Kinder verlangen nach Dir &#x2014;&#x201C;</l><lb/>
                <l>Aber der trotzige Sonnengott,</l><lb/>
                <l>Bey dem Anblick der Gattin, erglu&#x0364;ht' er</l><lb/>
                <l>In doppeltem Purpur,</l><lb/>
                <l>Vor Zorn und Schmerz,</l><lb/>
                <l>Und unerbittlich eilt er hinab</l><lb/>
                <l>In &#x017F;ein fluthenkaltes Wittwerbett.</l><lb/>
              </lg>
            </lg>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
            <lg type="poem">
              <lg n="1">
                <l>Bo&#x0364;&#x017F;e, zi&#x017F;chelnde Zungen</l><lb/>
                <l>Brachten al&#x017F;o Schmerz und Verderben</l><lb/>
                <l>Selb&#x017F;t u&#x0364;ber ewige Go&#x0364;tter.</l><lb/>
                <l>Und die armen Go&#x0364;tter, oben am Himmel</l><lb/>
              </lg>
            </lg>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[269/0281] Die weiche Luna! Weiblich geſinnt, Liebt ſie noch immer den ſchoͤnen Gemahl. Gegen Abend, zitternd und bleich, Lauſcht ſie hervor aus leichtem Gewoͤlk, Und ſchaut nach dem Scheidenden, ſchmerzlich, Und moͤchte ihm aͤngſtlich rufen: „Komm! Komm! die Kinder verlangen nach Dir —“ Aber der trotzige Sonnengott, Bey dem Anblick der Gattin, ergluͤht' er In doppeltem Purpur, Vor Zorn und Schmerz, Und unerbittlich eilt er hinab In ſein fluthenkaltes Wittwerbett. Boͤſe, ziſchelnde Zungen Brachten alſo Schmerz und Verderben Selbſt uͤber ewige Goͤtter. Und die armen Goͤtter, oben am Himmel

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder01_1826
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder01_1826/281
Zitationshilfe: Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 1. Hamburg, 1826, S. 269. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder01_1826/281>, abgerufen am 25.11.2024.