Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 1. Hamburg, 1826.

Bild:
<< vorherige Seite

Während solcherley Gespräche hin und her flo¬
gen, verlor man doch das Nützliche nicht aus den
Augen, und den großen Schüsseln, die mit Fleisch,
Kartoffeln u. s. w. ehrlich angefüllt waren, wurde
fleißig zugesprochen. Jedoch das Essen war schlecht.
Dieses erwähnte ich leichthin gegen meinen Nach¬
bar, der aber, mit einem Accente, woran ich den
Schweizer erkannte, gar unhöflich antwortete: daß
wir Deutschen wie mit der wahren Freiheit, so auch
mit der wahren Genügsamkeit unbekannt seyen. Ich
zuckte die Achseln und bemerkte: daß die eigentlichen
Fürstenknechte und Leckerkram-Verfertiger überall
Schweizer sind und vorzugsweise so genannt werden,
und daß überhaupt diejetzigen schweizerischen Freiheits¬
helden, die so viel Politisch-Kühnes in's Publikum
hineinschwatzen, mir immer vorkommen, wie Hasen,
die auf öffentlichen Jahrmärkten Pistolen abschie¬
ßen, alle Kinder und Bauern durch ihre Kühnheit
in Erstaunen setzen, und dennoch Hasen sind.

Der Sohn der Alpen hatte es gewiß nicht böse
gemeint, "es war ein dicker Mann, folglich ein

Waͤhrend ſolcherley Geſpraͤche hin und her flo¬
gen, verlor man doch das Nuͤtzliche nicht aus den
Augen, und den großen Schuͤſſeln, die mit Fleiſch,
Kartoffeln u. ſ. w. ehrlich angefuͤllt waren, wurde
fleißig zugeſprochen. Jedoch das Eſſen war ſchlecht.
Dieſes erwaͤhnte ich leichthin gegen meinen Nach¬
bar, der aber, mit einem Accente, woran ich den
Schweizer erkannte, gar unhoͤflich antwortete: daß
wir Deutſchen wie mit der wahren Freiheit, ſo auch
mit der wahren Genuͤgſamkeit unbekannt ſeyen. Ich
zuckte die Achſeln und bemerkte: daß die eigentlichen
Fuͤrſtenknechte und Leckerkram-Verfertiger uͤberall
Schweizer ſind und vorzugsweiſe ſo genannt werden,
und daß uͤberhaupt diejetzigen ſchweizeriſchen Freiheits¬
helden, die ſo viel Politiſch-Kuͤhnes in's Publikum
hineinſchwatzen, mir immer vorkommen, wie Haſen,
die auf oͤffentlichen Jahrmaͤrkten Piſtolen abſchie¬
ßen, alle Kinder und Bauern durch ihre Kuͤhnheit
in Erſtaunen ſetzen, und dennoch Haſen ſind.

Der Sohn der Alpen hatte es gewiß nicht boͤſe
gemeint, „es war ein dicker Mann, folglich ein

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="poem" n="1">
        <pb facs="#f0232" n="220"/>
        <p>Wa&#x0364;hrend &#x017F;olcherley Ge&#x017F;pra&#x0364;che hin und her flo¬<lb/>
gen, verlor man doch das Nu&#x0364;tzliche nicht aus den<lb/>
Augen, und den großen Schu&#x0364;&#x017F;&#x017F;eln, die mit Flei&#x017F;ch,<lb/>
Kartoffeln u. &#x017F;. w. ehrlich angefu&#x0364;llt waren, wurde<lb/>
fleißig zuge&#x017F;prochen. Jedoch das E&#x017F;&#x017F;en war &#x017F;chlecht.<lb/>
Die&#x017F;es erwa&#x0364;hnte ich leichthin gegen meinen Nach¬<lb/>
bar, der aber, mit einem Accente, woran ich den<lb/>
Schweizer erkannte, gar unho&#x0364;flich antwortete: daß<lb/>
wir Deut&#x017F;chen wie mit der wahren Freiheit, &#x017F;o auch<lb/>
mit der wahren Genu&#x0364;g&#x017F;amkeit unbekannt &#x017F;eyen. Ich<lb/>
zuckte die Ach&#x017F;eln und bemerkte: daß die eigentlichen<lb/>
Fu&#x0364;r&#x017F;tenknechte und Leckerkram-Verfertiger u&#x0364;berall<lb/>
Schweizer &#x017F;ind und vorzugswei&#x017F;e &#x017F;o genannt werden,<lb/>
und daß u&#x0364;berhaupt diejetzigen &#x017F;chweizeri&#x017F;chen Freiheits¬<lb/>
helden, die &#x017F;o viel Politi&#x017F;ch-Ku&#x0364;hnes in's Publikum<lb/>
hinein&#x017F;chwatzen, mir immer vorkommen, wie Ha&#x017F;en,<lb/>
die auf o&#x0364;ffentlichen Jahrma&#x0364;rkten Pi&#x017F;tolen ab&#x017F;chie¬<lb/>
ßen, alle Kinder und Bauern durch ihre Ku&#x0364;hnheit<lb/>
in Er&#x017F;taunen &#x017F;etzen, und dennoch Ha&#x017F;en &#x017F;ind.</p><lb/>
        <p>Der Sohn der Alpen hatte es gewiß nicht bo&#x0364;&#x017F;e<lb/>
gemeint, &#x201E;es war ein dicker Mann, folglich ein<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[220/0232] Waͤhrend ſolcherley Geſpraͤche hin und her flo¬ gen, verlor man doch das Nuͤtzliche nicht aus den Augen, und den großen Schuͤſſeln, die mit Fleiſch, Kartoffeln u. ſ. w. ehrlich angefuͤllt waren, wurde fleißig zugeſprochen. Jedoch das Eſſen war ſchlecht. Dieſes erwaͤhnte ich leichthin gegen meinen Nach¬ bar, der aber, mit einem Accente, woran ich den Schweizer erkannte, gar unhoͤflich antwortete: daß wir Deutſchen wie mit der wahren Freiheit, ſo auch mit der wahren Genuͤgſamkeit unbekannt ſeyen. Ich zuckte die Achſeln und bemerkte: daß die eigentlichen Fuͤrſtenknechte und Leckerkram-Verfertiger uͤberall Schweizer ſind und vorzugsweiſe ſo genannt werden, und daß uͤberhaupt diejetzigen ſchweizeriſchen Freiheits¬ helden, die ſo viel Politiſch-Kuͤhnes in's Publikum hineinſchwatzen, mir immer vorkommen, wie Haſen, die auf oͤffentlichen Jahrmaͤrkten Piſtolen abſchie¬ ßen, alle Kinder und Bauern durch ihre Kuͤhnheit in Erſtaunen ſetzen, und dennoch Haſen ſind. Der Sohn der Alpen hatte es gewiß nicht boͤſe gemeint, „es war ein dicker Mann, folglich ein

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder01_1826
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder01_1826/232
Zitationshilfe: Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 1. Hamburg, 1826, S. 220. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder01_1826/232>, abgerufen am 04.12.2024.