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Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 1. Hamburg, 1826.

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Geduld bestanden, und worin noch schließlich bemerkt
wurde, daß man um zwölf Uhr, welches die Fütte¬
rungstunde sey, keine Hunde mitbringen dürfe, in¬
dem diese dem armen Deutschen die besten Brocken
weg zu schnappen pflegten. -- Ein junger Burschen¬
schafter, der kürzlich zur Purifikazion in Berlin gewe¬
sen, sprach viel von dieser Stadt; aber sehr einseitig.
Er hatte Wisotzki und das Theater besucht; beide
beurtheilte er falsch. "Schnell fertig ist die Ju¬
gend mit dem Wort u. s. w." Er sprach von
Garderobe-Aufwand, Schauspieler- und Schauspie¬
lerinnen-Skandal u. s. w. Der junge Mensch
wußte nicht, daß, da in Berlin überhaupt der Schein
der Dinge am meisten gilt, was schon die allge¬
meine Redensart "man so duhn" hinlänglich an¬
deutet, dieses Scheinwesen auf den Brettern erst
recht floriren muß, und daß daher die Intendanz
am meisten zu sorgen hat für "die Farbe des Barts,
womit eine Rolle gespielt wird," für die Treue
der Costüme, die von beeidigten Historikern vorge¬
zeichnet, und von wissenschaftlich gebildeten Schnei¬

Geduld beſtanden, und worin noch ſchließlich bemerkt
wurde, daß man um zwoͤlf Uhr, welches die Fuͤtte¬
rungſtunde ſey, keine Hunde mitbringen duͤrfe, in¬
dem dieſe dem armen Deutſchen die beſten Brocken
weg zu ſchnappen pflegten. — Ein junger Burſchen¬
ſchafter, der kuͤrzlich zur Purifikazion in Berlin gewe¬
ſen, ſprach viel von dieſer Stadt; aber ſehr einſeitig.
Er hatte Wiſotzki und das Theater beſucht; beide
beurtheilte er falſch. „Schnell fertig iſt die Ju¬
gend mit dem Wort u. ſ. w.“ Er ſprach von
Garderobe-Aufwand, Schauſpieler- und Schauſpie¬
lerinnen-Skandal u. ſ. w. Der junge Menſch
wußte nicht, daß, da in Berlin uͤberhaupt der Schein
der Dinge am meiſten gilt, was ſchon die allge¬
meine Redensart „man ſo duhn“ hinlaͤnglich an¬
deutet, dieſes Scheinweſen auf den Brettern erſt
recht floriren muß, und daß daher die Intendanz
am meiſten zu ſorgen hat fuͤr „die Farbe des Barts,
womit eine Rolle geſpielt wird,“ fuͤr die Treue
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[215/0227] Geduld beſtanden, und worin noch ſchließlich bemerkt wurde, daß man um zwoͤlf Uhr, welches die Fuͤtte¬ rungſtunde ſey, keine Hunde mitbringen duͤrfe, in¬ dem dieſe dem armen Deutſchen die beſten Brocken weg zu ſchnappen pflegten. — Ein junger Burſchen¬ ſchafter, der kuͤrzlich zur Purifikazion in Berlin gewe¬ ſen, ſprach viel von dieſer Stadt; aber ſehr einſeitig. Er hatte Wiſotzki und das Theater beſucht; beide beurtheilte er falſch. „Schnell fertig iſt die Ju¬ gend mit dem Wort u. ſ. w.“ Er ſprach von Garderobe-Aufwand, Schauſpieler- und Schauſpie¬ lerinnen-Skandal u. ſ. w. Der junge Menſch wußte nicht, daß, da in Berlin uͤberhaupt der Schein der Dinge am meiſten gilt, was ſchon die allge¬ meine Redensart „man ſo duhn“ hinlaͤnglich an¬ deutet, dieſes Scheinweſen auf den Brettern erſt recht floriren muß, und daß daher die Intendanz am meiſten zu ſorgen hat fuͤr „die Farbe des Barts, womit eine Rolle geſpielt wird,“ fuͤr die Treue der Coſtuͤme, die von beeidigten Hiſtorikern vorge¬ zeichnet, und von wiſſenſchaftlich gebildeten Schnei¬

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Zitationshilfe: Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 1. Hamburg, 1826, S. 215. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder01_1826/227>, abgerufen am 05.12.2024.