ein uralter Traum wird lebendig, die Geliebte erscheint -- ach, daß sie so schnell wieder ver¬ schwindet!
Je höher man den Berg hinauf steigt, desto kürzer, zwerghafter werden die Tannen, sie scheinen immer mehr und mehr zusammen zu schrumpfen, bis nur Heidelbeer- und Rothbeer-Sträuche und Bergkräuter übrig bleiben. Da wird es auch schon fühlbar kälter. Die wunderlichen Gruppen der Granitblöcke werden hier erst recht sichtbar; diese sind oft von erstaunlicher Größe. Das mögen wohl die Spielbälle seyn, die sich die bösen Geister ein¬ ander zuwerfen in der Walpurgis-Nacht, wenn hier die Hexen auf Besenstielen und Mistgabeln einher¬ geritten kommen, und die abentheuerlich verruchte Lust beginnt, wie die glaubhafte Amme es erzählt, und wie es zu schauen ist auf den hübschen Faust¬ bildern des Meister Retzsch. Ja, ein junger Dich¬ ter, der auf einer Reise von Berlin nach Göttin¬ gen in der ersten Mainacht am Brocken vorbey ritt, bemerkte sogar, wie einige belletristische Damen auf
ein uralter Traum wird lebendig, die Geliebte erſcheint — ach, daß ſie ſo ſchnell wieder ver¬ ſchwindet!
Je hoͤher man den Berg hinauf ſteigt, deſto kuͤrzer, zwerghafter werden die Tannen, ſie ſcheinen immer mehr und mehr zuſammen zu ſchrumpfen, bis nur Heidelbeer- und Rothbeer-Straͤuche und Bergkraͤuter uͤbrig bleiben. Da wird es auch ſchon fuͤhlbar kaͤlter. Die wunderlichen Gruppen der Granitbloͤcke werden hier erſt recht ſichtbar; dieſe ſind oft von erſtaunlicher Groͤße. Das moͤgen wohl die Spielbaͤlle ſeyn, die ſich die boͤſen Geiſter ein¬ ander zuwerfen in der Walpurgis-Nacht, wenn hier die Hexen auf Beſenſtielen und Miſtgabeln einher¬ geritten kommen, und die abentheuerlich verruchte Luſt beginnt, wie die glaubhafte Amme es erzaͤhlt, und wie es zu ſchauen iſt auf den huͤbſchen Fauſt¬ bildern des Meiſter Retzſch. Ja, ein junger Dich¬ ter, der auf einer Reiſe von Berlin nach Goͤttin¬ gen in der erſten Mainacht am Brocken vorbey ritt, bemerkte ſogar, wie einige belletriſtiſche Damen auf
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ein uralter Traum wird lebendig, die Geliebte
erſcheint — ach, daß ſie ſo ſchnell wieder ver¬
ſchwindet!
Je hoͤher man den Berg hinauf ſteigt, deſto
kuͤrzer, zwerghafter werden die Tannen, ſie ſcheinen
immer mehr und mehr zuſammen zu ſchrumpfen,
bis nur Heidelbeer- und Rothbeer-Straͤuche und
Bergkraͤuter uͤbrig bleiben. Da wird es auch ſchon
fuͤhlbar kaͤlter. Die wunderlichen Gruppen der
Granitbloͤcke werden hier erſt recht ſichtbar; dieſe
ſind oft von erſtaunlicher Groͤße. Das moͤgen wohl
die Spielbaͤlle ſeyn, die ſich die boͤſen Geiſter ein¬
ander zuwerfen in der Walpurgis-Nacht, wenn hier
die Hexen auf Beſenſtielen und Miſtgabeln einher¬
geritten kommen, und die abentheuerlich verruchte
Luſt beginnt, wie die glaubhafte Amme es erzaͤhlt,
und wie es zu ſchauen iſt auf den huͤbſchen Fauſt¬
bildern des Meiſter Retzſch. Ja, ein junger Dich¬
ter, der auf einer Reiſe von Berlin nach Goͤttin¬
gen in der erſten Mainacht am Brocken vorbey ritt,
bemerkte ſogar, wie einige belletriſtiſche Damen auf
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Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 1. Hamburg, 1826, S. 199. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder01_1826/211>, abgerufen am 04.12.2024.
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